EU-Verpackungsverordnung (PPWR): Mehrwegquoten für Industrie- und Gewerbeverpackungen gefährden sämtliche Lieferketten im EU-Binnenmarkt
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,
der Draghi-Bericht hat gezeigt, dass für die dringend erforderliche Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen der freie Warenverkehr im EU-Binnenmarkt von elementarer Bedeutung ist und bleibt. Einheitliche, unbürokratische und vollziehbare Verpackungsregeln sind fundamental für den grenz- überschreitenden Warenverkehr in der EU und stärken damit den Binnenmarkt.
Leider widersprechen die 100%-Mehrwegquoten für viele industrielle und gewerbliche Transport- und Verkaufsverpackungen (inklusive Gartenbau) im vorläufigen Kompromiss zwischen Europäischem Parlament und Mitgliedstaaten für eine EU-Verpackungsverordnung (PPWR) dem Ziel einer Stärkung des Binnenmarktes. Ein Verbot dieser vielfach verwendeten Einweg-Verpackungen gefährdet zentrale Lieferketten in Europa, weil es für viele der angesprochenen Verpackungsformate keine Mehrweglösungen gibt bzw. diese weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll sind. Denn es müsste eine Vielzahl an Einzellösungen für Mehrweg-Rücknahmesysteme diverser Industrien etabliert werden, um den Eigenschaften jeder Produktgruppe gerecht zu werden. Außerdem sind die Mehrwegquoten nicht mit den Vorgaben zur Transportsicherheit vereinbar und es bestehen erhebliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit.
Wir gehen davon aus, dass es sich bei der Ausweitung der Mehrwegquoten um einen Fehler im Gesetzgebungsverfahren handelt: Die Änderungen erfolgten kurzfristig am Ende der Trilog-Verhandlungen im Februar 2024 und hatten lediglich zum Ziel, die Verständlichkeit der Regelungen zu verbessern. Vermutlich unbeabsichtigt wurden mit der Zusammenfassung sämtlicher Mehrwegquoten für Industrie- und Gewerbeverpackungen sowie gartenbaulicher Verpackungen in Artikel 29 Absatz 1 nicht nur die Quoten selbst, sondern auch der Anwendungsbereich der Absätze 2 und 3 gegenüber dem Kommissionsvorschlag drastisch ausgeweitet.
Wir bitten Sie daher dringend, sich dafür einzusetzen, den Fehler in der Corrigendum-Fassung des Regelungstexts zu berichtigen und damit die notwendige Rechts- und Planungssicherheit für sämtliche Lieferketten herzustellen. Der aktuelle Vorschlag der Kommission, durch eine Änderung in Erwägungsgrund 95 der Corrigendum-Fassung eine Ausnahme von den Mehrwegquoten für „Verpackungen für kontaktempfindliche Produkte, die zwischen den Verwendungen spezifisch gewaschen werden müssen“ vorzunehmen, genügt nicht, da auch viele Verpackungen für andere als „kontaktempfindliche Produkte“ nicht zum selben Zweck wiederverwendbar sind, beispielsweise sämtliche Verpackungen für viskose Füllgüter, wie Farben, Putze, Klebstoffe etc., insbesondere, wenn Produktreste in der Verpackung aushärten, oder Verpackungen für Pflanzenschutzmittel. Zudem enthält der aktuelle Regelungstext selbst (siehe etwa Artikel 29 Abs. 4) keine entsprechende Ausnahme.
Es geht uns nicht darum, die Verhandlungen um die PPWR wieder zu eröffnen, sondern die unbeabsichtigte Ausweitung der Mehrwegquoten zu korrigieren. Wir halten es für dringend erforderlich, die Mehrwegvorgaben in ihrer jetzigen Form für industrielle, gewerbliche sowie gartenbauliche Transport- und Verkaufsverpackungen in Artikel 29 Absätze 1 bis 3 neu zu fassen. Die Kommission sollte aufgefordert werden, auf Grundlage einer wissenschaftlichen Analyse und Folgenabschätzung einen neuen Vorschlag vorzulegen, wobei auf Mehrwegquoten für Palettenumhüllungen und Umreifungsbänder sowie für den Handel zwischen Unternehmen in einem EU-Mitgliedstaat zu verzichten ist.
Wie Sie wissen, sind Palettenumhüllungen und Umreifungsbänder, deren 100%-Mehrwegquoten die EU-Kommission nach den Worten des ehemaligen Umweltkommissars Sinkevičius überprüfen will, nur offensichtliche Beispiele für die drastischen Folgen des vollständigen Verbots von Einwegverpackungen im Geschäftsverkehr. Vergleichbare Gründe sprechen auch gegen 100%-Mehrwegquoten für die ebenfalls betroffenen Kanister, Kübel, Schalen usw., deren mehrfache Nutzung zum selben Zweck oft ebenfalls nicht möglich und/oder nicht nachhaltig ist. Für diese Verpackungsformate wird das Problem durch die im vorläufigen Kompromiss vorgesehene Ausweitung der Mehrwegquoten auf „Verkaufsverpackungen für den Transport von Produkten“ noch verschärft: Denn dadurch wird die sinnvolle und bewährte Unterscheidung zwischen Verkaufsverpackungen, die in direktem Kontakt zum Füllgut stehen, und Transportverpackungen verwässert und es bleibt unklar, welche Verpackungsformate konkret gemeint sind. Denn die genannten Verkaufsverpackungen dienen in der Regel gerade nicht nur dem Transport von Produkten, sondern darüber hinaus auch dem Produktschutz, der Lagerung und Anwendung des Produkts sowie der Information und Sicherheit der Anwender.
Wir halten es außerdem für zwingend erforderlich, vor der Verabschiedung von Mehrwegquoten auch für Industrie- und Gewerbeverpackungen sowie gartenbaulichen Verpackungen im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse und Folgenabschätzung zu prüfen, ob Mehrwegalternativen überhaupt vorhanden sind und wenn ja, ob diese nachhaltiger sind. Für bestimmte Konsumverpackungen hatte die Kommission im Februar 2024 eine solche Analyse veröffentlicht.
Im Übrigen widersprechen Mehrwegquoten, die an den Transport zwischen Unternehmen innerhalb eines Mitgliedstaates anknüpfen (Artikel 29 Absatz 3), den Grundprinzipien des EU-Binnenmarktes und benachteiligen Unternehmen in größeren EU-Mitgliedstaaten gegenüber Unternehmen in kleineren EU-Mitgliedstaaten, weil letztere einen höheren Anteil an grenzüberschreitenden Transporten haben, für die die 100%-Quoten nicht gelten. Der vorläufige Kompromiss benachteiligt außerdem kleine und mittlere Unternehmen, die – anders als exportorientierte Großunternehmen – oft nur einen nationalen Markt bedienen und die daher von der Mehrwegpflicht stärker betroffen wären. Zudem haben wir erhebliche Bedenken, dass die von den Unternehmen gemeldeten Verpackungsmengen von den Mitgliedstaaten veröffentlicht werden sollen (Artikel 31 Absatz 6), weil sich daraus detaillierte Rückschlüsse auf die Geschäftstätigkeit einzelner Unternehmen ziehen lassen.
Schließlich bestehen erhebliche Zweifel daran, ob der EU-Gesetzgeber auf Basis der Kompetenz zur Binnenmarktharmonisierung (Artikel 114 AEUV) überhaupt bestimmte industriell und gewerblich genutzte Einweg-Verpackungen verbieten kann, weil ein solches Verbot weder tatsächlich der Beseitigung von Hemmnissen des freien Warenverkehrs dient, noch tatsächlich zur Beseitigung spürbarer Verzerrungen des Wettbewerbs beiträgt, wie es die Rechtsprechung des EuGH verlangt. Ein aktuelles Rechtsgutachten von Prof. Stefan Korte (Speyer) haben wir Ihnen zur Kenntnis beigefügt.
Gern stehen die Unterzeichner für weitere Auskünfte und Gespräche zur Verfügung.
Die unterzeichnenden Verbände: