Stellungnahmen zum XXV. Hauptgutachten der Monopolkommission

I. Einführung

Am 01.07.2024 hat die Monopolkommission ihr XXV. Hauptgutachten „Wettbewerb 2024“ vorgelegt. In ihren Ausführungen geht sie auch auf die Thematik Marktmacht und Fairness in der Lebensmittellieferkette ein (Seite 90, Ziffer 153). Unter Bezugnahme auf die Erläuterungen in ihrem 13. Policy Brief „Wettbewerb in der Lebensmittellieferkette, 2024, S.4 f. spricht sie sich dafür aus, voreilige Eingriffe zu vermeiden und wegen der Komplexität der Handelbeziehungen in dieser Wertschöpfungskette zunächst eine gründliche Analyse vorzunehmen. In dem zugrundeliegenden Policy Brief führt sie aus, dass eine Weiterentwicklung des Gesetzes zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (AgrarOLkG) angesichts der damit einhergehenden Eingriffe in den Wettbewerb und die freie Preisbildung kurzfristig nur zurückhaltend vorgenommen werden sollten. Die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in 2023 durchgeführte Evaluierung der AgrarOLkG habe nur eine begrenzte Aussagekraft. Um kurzfristig reagieren zu können, sollten stattdessen die bereits bestehenden Maßnahmen zur Stärkung der Marktposition der Landwirtschaft sowie zur Verhinderung des Missbrauchs von Marktmacht innerhalb der Lebensmittellieferkette in den Blick genommen werden.

II. Im Einzelnen

1. Die von der Monopolkommission vorgenommene Bewertung gibt Anlass zur Kritik und Klarstellung. Durch die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und die damit verbundene Verhandlungsmacht sind Fairnessdefizite zulasten der Lieferanten in der Lebensmittellieferkette verursacht worden, denen es durch gesetzliche Regelungen entgegenzuwirken gilt. Gegenüber der Weiterentwicklung des zugrundeliegenden Rechtsrahmens nimmt die Monopolkommission offensichtlich eine defensive Position ein. Ihre dies betreffenden Hinweise, „voreilige Eingriffe“ müssten vermieden und die Weiterentwicklung des AgrarOLkG „zurückhaltend“ erfolgen, sind allgemein gehalten und interpretationsbedürftig zugleich. Dies kann dazu führen, dass sachlich begründete Hinweise zur Weiterentwicklung des bestehenden rechtlichen Instrumentariums, insbesondere im Rahmen des laufenden Novellierungsprozesses des AgrarOLkG, von vornherein im Sinne der geäußerten Vorbehalte diskreditiert werden

2. Eine weitere Analyse der Handelsbeziehungen in der Lebensmittellieferkette und der damit verbundene Erkenntnisgewinn ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist klarzustellen, dass grundlegende Erkenntnisse bereits vorliegen. Die Konzentration im LEH und die damit verbundenen Friktionen und Herausforderungen sind allgemeinbekannt. Diese Thematik ist insbesondere durch die Sektoruntersuchung „Lebensmitteleinzelhandel“ des Bundeskartellamts aus dem Jahr 2014 beleuchtet worden. Schon damals hat das Bundeskartellamt die Feststellung getroffen, dass die Wettbewerbsbedingungen im Seite 2/3 Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland von einer Spitzengruppe bestehend aus den vier national tätigen Lebensmittel-einzelhändlern EDEKA, REWE, Schwarz Gruppe und Aldi dominiert werden. Diese Position hat sich durch zwischenzeitliche Zusammenschlussvorhaben weiter verfestigt. Das Bundeskartellamt hat in diesem Kontext festgestellt, dass in allen untersuchten Beschaffungsmärkten der Lebensmitteleinzelhandel den weitaus bedeutendsten Absatzkanal für die Hersteller von Lebensmitteln darstellt, während die alternativen Vertriebswege nur eine sehr geringe Bedeutung haben. Je nach untersuchtem Beschaffungsmarkt lag der Anteil des Absatzkanals Lebensmitteleinzelhandel zwischen 65 und 90 Prozent des Gesamtumsatzes der Hersteller. Die führenden Lebensmitteleinzelhändler sind deshalb weitgehend in der Lage, ihre starke Marktposition in den Verhandlungen mit der Lebensmittelindustrie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Dies verstärkt die Verhandlungsmacht der Händler gegenüber den Herstellern. Auch starke Hersteller mit hohen Umsatzanteilen im Lebensmitteleinzelhandel sind einer entsprechenden Marktmacht von Seiten ihrer Nachfrager ausgesetzt, sofern sie über keine hinreichenden Ausweichoptionen verfügen, was im Einzelfall zu prüfen ist, wovon jedoch in der Regel ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass diese Hersteller sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene zunehmend mit Einkaufsverbünden im Einzelhandelsbereich konfrontiert werden, die die vorhandene Verhandlungsstärke des Handels nochmals untermauern. Es ist somit festzuhalten, dass der LEH auf der Grundlage seiner Verhandlungsmacht und unter dem Deckmantel der Privatautonomie und mittels unfairer Handelspraktiken vielfach das wirtschaftliche Risiko auf seine Lieferanten verlagert. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Folgen des Verhandlungsdrucks im Verhältnis zwischen LEH und Lieferanten sich über „Kaskadeneffekte“ auf die gesamte Lieferkette auswirken.

3. Das reklamierte Erfordernis nach zusätzliche Analysen darf nicht dazu führen, dass bestehendem Handlungsbedarf keine Rechnung getragen und dieser aufgeschoben wird. Zunächst einmal ist festzustellen, dass § 59 AgrarOLkG ausdrücklich vorsieht, dass dieses Gesetz auf der Grundlage einer Evaluierung weiterentwickelt werden kann, insbesondere auch im Hinblick auf bisher nicht erfasste unlautere Handelspraktiken. Auch sieht der Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung vor, dass fairer Wettbewerb mit fairen Preisen im Lebensmittelmarkt unterstützt und gegen unfaire Handelspraktiken vorgegangen wird.

Die im AgrarOLkG vorgesehene Evaluierung hat stattgefunden. Das BMEL hat den entsprechenden Evaluierungsbericht am 22. November 2023 veröffentlicht. Dem Bericht liegt unter anderem eine Online-Befragung des Ministeriums zugrunde, an der sich 884 Lieferanten und 239 Käufer beteiligt haben. Auf dieser Grundlage konnte die Feststellung getroffen werden, dass dieses Gesetz wirkt. Vor allem bei verspäteten Kaufpreiszahlungen hat es Besserungen für kleinere Betriebe gegeben und unlautere Praktiken sind zurückgegangen. Daneben haben die Evaluierungsergebnisse deutlich gemacht, dass und wo noch Handlungsbedarf besteht. Nach wie vor werden Lieferanten mit unlauteren Handelspraktiken konfrontiert. Dies wird auch durch die landwirtschaftlichen Proteste belegt, die die vor, während und nach der „Grünen Woche 2024“ stattgefunden haben, um auch den Druck auf die Lebensmittellieferkette und die damit verbundenen Auswirkungen zu thematisieren, die mit der Konzentration des LEH verbunden sind. Ferner müssen beispielsweise Ausweichbewegungen besser verhindert werden, mit denen verbotene Praktiken umgangen werden sollen. Außerdem verursacht die Festlegung des Schutzbereiches anhand der Unternehmensumsätze für die betroffenen Unternehmen in der praktischen Umsetzung einen hohen bürokratischen Aufwand und Schwierigkeiten in der Ermittlung der korrekten Umsatzdaten. Dies betrifft insbesondere die Seite 3/3 Ermittlung der produktgruppenspezifischen Umsätze. Dies bietet Veranlassung die bestehenden Umsatzgrenzen aufzuheben, zumindest jedoch die existierenden Ausnahmen zu entfristen. Zudem werden durch den LEH weitere problematische Praktiken angewendet, wie beispielsweise die unfaire Handhabung von Vertragsstrafen, deren Klassifizierung als verbotene Handelspraktiken in Betracht zu ziehen ist. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die Erkenntnisse dieser Evaluierung und deren vorgesehene Umsetzung im Rahmen einer Novelle des AgrarOLkG als „voreilig“ und „extensiv“ zu bewerten.