Forderungen der Ernährungs- industrie an die zukünftige Ausgestaltung der Energiepolitik

1. Allgemeine Situation

Die Ernährungsindustrie in Deutschland hat in der Vergangenheit generell unter den im internationalen Vergleich hohen inländischen Energiepreisen gelitten. Dies wurde über viele Jahre hinweg vor allem durch die staatlichen Belastungen der Preise in Form von Abgaben, Steuern und Umlagen bedingt. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Verfügbarkeit wichtiger Energieträger hatte die Energiepreise in den Jahren 2022 und 2023 zudem vorübergehend in bislang nicht gekannte Höhen getrieben.

Zwischenzeitlich hat es in preislicher Hinsicht durchaus positive Entwicklungen gegeben. So ist der durchschnitt- liche Strompreis für kleine und mittlere Industriebetriebe (Abnahmefall 70 – 150 GWh) in den vergangenen Monaten deutlich gesunken. Für Neuabschlüsse lag er Anfang 2024 bei 17,65 ct/kWh, das entspricht dem Niveau der Jahre 2017/2018 und dem gegenwärtigen EU Durchschnitt. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche Unternehmen durch bestehende Altverträge nach wie vor mit hohen Strompreisen belastet werden.

Die Gaspreise haben Ende 2023 leicht unter dem EU-Durchschnitt gelegen.

Unabhängig von diesen Entwicklungen bedarf es im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Ernährungsindustrie einer differenzierten Betrachtung.

2. Energieintensive Unternehmen

a. Strom
Die Strompreise für große Abnehmer (Abnahmefall größer als 150 GWh) liegen in Deutschland nach wie vor über dem EU-Durchschnitt und zudem über dem Preisniveau, das vor dem Ukrainekrieg bestand. Die Preisbildung am Strommarkt hängt wesentlich von der Kosten der letzten zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage erzeugten Erzeugungseinheit ab – dies sind aktuell und in der Zukunft in noch größeren Maße die Gaskraftwerke. Daher ist der Gaspreis von großer Bedeutung für den Strompreis. Ein Austausch von Erdgas durch Wasserstoff wird hier sehr preistreibend wirken Demgegenüber sind französische Strompreise beispielsweise rund 50 Prozent niedriger. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Nahrungsmittelhersteller in Deutschland sicherzustellen und Leakage-Effekte zu vermeiden, müssen diesen Unternehmen adäquate Entlastungen ermöglicht werden.

Dauerhafte und planbare Senkung der Stromsteuer
Die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent je Kilowattstunde stellt einen zielführenden Ansatz dar. Dies darf sich jedoch nicht auf eine kurzfristige Maßnahme beschränken. Gegenwärtig ist vorgesehen, dass eine Verlängerung für die Jahre 2026 bis 2028 von einer entsprechenden Gegenfinanzie- rungen im jeweiligen Bundeshalt abhängig gemacht wird. Auf dieser Grundlage sind Investitionsentscheidungen in Unternehmen nicht planbar. Vor diesem Hintergrund ist eine unbefristete Senkung der Stromsteuer erforderlich, damit Unternehmen auf solider Grundlage klimaschonende Transformationsmaßnahmen planen und durchführen können.

Strompreiskompensation
In einigen ausgewählten Wirtschaftssektoren und Teilsektoren können die durch Nebenkosten verursachten Belastungen für Unternehmen teilweise reduziert werden. Berechtigt sind Unternehmen, die beihilfefähige Produkte aus definierten Sektoren oder Teilsektoren herstellen. Die Ernährungsin- dustrie hat in diesem Kontext bislang keine Berücksichtigung gefunden, obwohl diverse Produktverarbeitungen gemäß einschlägigen gesetzlichen Kriterien (BEHG & EU-ETS & KUEBLL) energieintensiv, handelsintensiv und abwanderungsbedroht sind. Es besteht eine konkrete Gefahr der Verlagerung dieser Branchen (Carbon Leakage-Risiko), die sich aus den über den Strompreis weiter gereichten CO2-Kosten und der Handelsintensität ergeben. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich und geboten, die zugrunde liegende Liste berechtigter Sektoren einer Überprüfung zuzuführen und zu erweitern.

Errichtung von Windanlagen für Eigenverbrauch erleichtern
Der Mittelstand und auch größere Unternehmen haben keinen ausreichenden Zugang zur Erzeugung von Erneuerbarer Energie über Wind. Die Genehmigungsverfahren sind kostenintensiv, komplex und langwierig. Das hat zur Folge, dass sich Windanlagen vielfach in der Hand weniger großer Unternehmen befinden, die diese Situation nutzen können, um langfristig staatlich abgesicherte Gewinne zu erzielen.Vor diesem Hintergrund sollten die Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen, die der Stromversorgung zum Eigenverbrauch dienen,erleichtert werden.

b. Gas
Für prozesswärmeintensive Unternehmen sind Gaspreise ein erheblicher Standortfaktor, da der Energiebedarf bei der Produktion bzw. Verarbeitung in einem erheblichen Umfang erdgasbasiert ist. Eine Branchenumfrage der BVE aus dem Jahr 2022 belegt, dass der Wechsel von Erdgas auf andere Energieträger mit einem erheblichen Investitionsaufwand und zeitlich mit einem entsprechenden Vorlauf verbunden ist. Die Erzeugung von Biogas oder Biomethan aus Abfallprodukten sollte von der Politik als ergänzende Alternative zu Wasserstoff gesehen werden. Heimische Produktion, Versorgungssicherheit und Reduzierung der CO2 Emissionen sowie die ökonomische Komponente stellen konkrete Vorteile dar. Der Einsatz von Biomethan erfordert weitaus weniger Energieaufwand, als die Verflüssigung von Wasserstoff. Zahlreiche Prozesse lassen sich nicht elektrifizieren, so dass eine Umstellung auf wasserstoffbasierte Lösungen notwendig ist. Die dafür notwendigen, kostspieligen Investitionen bedürfen jedoch Planungssicherheit. Bis zu deren Umsetzung ist ein günstiger Gaspreis Grundlage, diese Investitionen zu erwirtschaften. In diesem Kontext sollten zudem Maßnahmen zur Nutzung von Abwärme und regionale Wärmekonzepte zwischen Industrie und privaten Haushalten gefördert werden.

Folgeregelung für den Spitzenausgleich
Der Wegfall des Spitzenausgleichs bei Gas belastet prozesswärmeintensive Unternehmen stärker, als die Senkung der Stromsteuer im Strompreispaket der Bundesregierung vom November 2023 entlastet. Vor diesem Hintergrund bedarf es für den seit 1. Januar 2024 weggefallenen Spitzenausgleich bei Gas im Energiesteuergesetz dringend einer Folgeregelung, die der Wettbewerbssituation der betroffenen Unternehmen angemessen Rechnung trägt.

3. Netzentgelte

Die mit der Transformation zur Klimaneutralität verbundene Energiewende ist vor allem im Bereich der Stromübertragung und -verteilung mit großen Herausforderungen verbunden. Notwendige Investitionen in die Netzinfrastruktur werden in den kommenden Jahren zu einem erheblichen Kostenaufwand führen, der mit einem entsprechenden Anstieg der Netzentgelte und damit der Strompreise in Deutschland einhergeht. Dies beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten.

Daneben besteht auf nationaler Ebene eine Wettbewerbsverzerrung. Diese wird zum einen dadurch bedingt, dass die Netzentgelte in Deutschland aufgrund von regionalen Unterschieden beim Investitionsbedarf und der Bevölkerungsdichte teilweise erheblich voneinander abweichen. Dies führt dazu, dass die Verbraucher im Norden und Osten Deutschlands teilweise erheblich höhere Netzentgelte bzw. Strompreise zu entrichten haben, als beispielsweise süddeutsche Verbraucher. Zum anderen besteht eine dies betreffende Differenzierung zwischen ländlichem und städtischem Raum. Erzeugungsanlagen für Erneuerbare Energien befinden sich insbesondere im ländlichen Raum. Dementsprechend zahlt diese Region aktuell für die Übertragung des Stroms in die Ballungsräume, so dass die Städte finanziell profitieren.

Vor diesem Hintergrund begrüßt die Ernährungsindustrie das Vorhaben der Bundesnetzagentur*, Netzbetreiber, die besondere Kostenbelastungen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vorweisen, zu entlasten. Die dies betreffend erwogene „Wälzung“ der Kosten über die § 19-StromNEV-Umlage würde zwar zu einer Entlastung der Verbraucher im Norden und Osten Deutschlands führen, aber auf der anderen Seite Betriebe im Süden und Westen des Landes zusätzlich belasten. Die mit der „Wälzung“ verbundene Nivellierung der Netzentgelte stellt auf Dauer keine durchgreifende Hilfe dar, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen zu verbessern.

Im Übrigen führt die Regelung des § 19 Absatz 2 StromNEV, über die individuelle, d.h. bis zu 80 Prozent geringere Netzentgelte vereinbart werden können, zu Fehlanreizen. Die zugrundeliegenden Schwellenwerte einer Jahresbezugsdauer von mindestens 7000 Stunden und einem Jahresverbrauch von mindestens 10 Gigawattstunden belohnt Verbraucher, die aus wirtschaftlichen Erwägungen absichtlich mehr verbrauchen als erforderlich, um in den Genuss günstiger Netzentgelte zu kommen. Diese Regelung bedarf einer Weiterentwicklung im Hinblick auf eine Flexibilisierung des Stromverbrauchs. Wer seinen Stromverbrauch in Zeiten verschiebt, in denen die Börse niedrige Preise aufweist und die Stromnetze noch Kapazitäten haben, sollte belohnt werden. Auch sollten Unternehmen, die bei Bedarf den Stromleistungsbedarf in besonderen Situationen auf Wunsch der Stromversorger vermindern, über die bestehenden Regelungen hinaus gefördert werden.

Es bedarf deshalb weitergehender marktwirtschaftliche Anreize zur Optimierung des Stromabnahmeverhaltens. Darüber hinaus sollten auf Bundesebene mittelfristig Gestaltungsspielräume geschaffen werden, die es im Hinblick auf eine Sicherung des Industriestandorts Deutschland ermöglichen, Kosten der Netzentgelte im Rahmen eines Gesamtfinanzierungskonzeptes zumindest teilweise über den Bundeshaushalt zu erfassen. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das muss sich in der Finanzierung wiederfinden.

*Bundesnetzagentur, Eckpunktepapier „Festlegung zur sachgerechten Verteilung von Mehrkosten aus der Integration von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien (Dezember 2023)

4. Stärkere Verzahnung mit der EU-Energiepolitik

Zahlreiche nationale energiepolitische Maßnahmen unterliegen der beihilferechtlichen Kontrolle der EU. Es ist geboten, die nationale Energiepolitik stärker mit der europäischen zu verzahnen. Immer wieder werden nationale Entlastungstatbestände geschaffen, deren Umsetzung dann am fehlenden Plazet aus Brüssel scheitern oder stark verzögert wird. So warten vom „Carbon Leakage“ gefährdete deutsche Branchen nunmehr seit über zwei Jahren auf einen Bescheid hinsichtlich der Möglichkeit, sich einen Teil der nationalen CO²-Kosten kompensieren zu lassen. Weil zu spät und mit zu wenig Nachdruck seitens der deutschen Politik in Brüssel solche Entscheidungen viel zu lange dauern, müssen die Unternehmen in Vorleistung gehen mit der Ungewissheit, diese Kompensationen wirklich zu erhalten. Auch so werden Gelder für Investitionen aus den Unterhemen abgezogen.