Energiepolitische Prioritäten für die Energieintensive Ernährungsindustrie

Um die Ernährungssicherung und Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa
aufrechtzuerhalten, braucht es einen neuen Ansatz für die energiepolitischen Herausforderungen der Ernährungsindustrie.

Die Energiekosten sind und bleiben in Deutschland auf einem äußerst hohen Niveau. Im Vergleich zu anderen Weltregionen hat sich der Preisabstand weiter vergrößert. Für die energieintensive Ernährungsindustrie in Deutschland entwickeln sich damit die Energiekosten — sowohl für Elektrizität als auch für Prozesswärme — zunehmend zu einer Standortfrage, da die Branche im europäischen und globalen Wettbewerb agiert und unter Druck steht, wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies gilt nicht nur für die Exporte, sondern gerade auch für den heimischen Markt, denn der sehr preissensible Lebensmittelhandel in Deutschland als wichtigster Abnehmer bezieht seine Produkte sowohl regional, europäisch als auch international. Mit Blick auf die neue EU-Kommission 2024 bis 2029 ist es zudem an der Zeit, Synergien zu heben und gemeinsam die Energieversorgung Europas voranzubringen.

In diesem Positionspapier möchten wir Lösungsansätze vorstellen, um die Belange der energieintensiven Ernährungsindustrie bei Zukunftsfragen zur Energie- und Klimapolitik stärker in den Fokus zu rücken und somit die Ernährungssicherung und Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa langfristig zu gewährleisten. Die Bedeutung einer resilienten und nachhaltigen Ernährungswirtschaft kann nicht überbetont werden.

Unsere zentrale Botschaft:

  • Energiepreise müssen sinken, um den Produktionsstandort Deutschland zu sichern.

1. Energieintensive Ernährungsindustrie bei energiepolitischen Entscheidungen berücksichtigen!

Die energieintensive Ernährungsindustrie begrüßt ausdrücklich die vielfältigen Initiativen der Bundesregierung, um die Wettbewerbssituation energieintensiver Branchen mit Blick auf die klimaschonende Transformation zu stärken. Das Zusammendenken von Dekarbonisierung und Erhalt der künftigen Wettbewerbsfähigkeit systemrelevanter Industrien sollte das Fundament jedes politischen Handelns sein.

Die Herstellung einer Vielzahl von Nahrungsmitteln, wie zum Beispiel Speiseölen und -fetten, Stärke, Getreidemehl, Frühstückscerealien, Teigwaren, Backwaren, Kakaoerzeugnisse, Speiseeis, Hefe sowie Malz ist energie- und handelsintensiv sowie akut abwanderungsbedroht. Dies wurde im Rahmen einschlägiger Regelungen und Vorgaben, wie dem EU-Emissionshandel (EU-ETS), dem deutschen Emissionshandel (BEHG/BECV), den EU-Leitlinien für Klimaschutz (KUEBLL) und dem Energiefinanzierungsgesetz (EnFG) anerkannt. Auch Betriebsschließungen mittelständischer Unternehmen sind nicht ausgeschlossen. Dennoch findet die Ernährungsindustrie im politischen Diskurs zur Stützung energieintensiver Industrien wenig Berücksichtigung. Bestes Beispiel: Die auf wenige Branchen fokussierte Strompreiskompensation im Strompreispaket vom November 2023, welches dringend erweitert werden muss.

Ferner ist die Herstellung vieler Lebensmittel prozesswärmeintensiv, das heißt, für ihre Produktion werden hohe Wärmemengen benötigt. Die industrielle Prozesswärme verursacht in Deutschland ungefähr drei Viertel der industriellen CO2-Emissionen. Trotz dieser Relevanz steht die Dekarbonisierung industrieller Prozesswärme bisher nicht auf der politischen Tagesordnung energiepolitischer Entscheidungen.

Unsere Forderungen –Energieintensive Ernährungsindustrie berücksichtigen:

  • Die hier vertretenen Sektoren der Ernährungsindustrie sind nachweislich energieintensiv und systemrelevant. Sie müssen bei allen energiepolitischen Fragestellungen stärker berücksichtigt werden. Insbesondere die Strompreiskompensationen des Strompreispaketes aus November 2023 müssen entsprechend erweitert werden.
  • Es ist wichtig, die energieeffiziente Prozesswärme deutlich höher im politischen Diskurs zu priorisieren. Für die Dekarbonisierung der prozesswärmeintensiven sowie kühlintenstiven Industrie ist eine grundlegende Politikstrategie notwendig, die Innovationen und Investitionen in moderne Technologien fördert.

2. Verbindlicher Carbon Leakage Schutz

Der Emissionshandel ist ein wichtiges, marktbasiertes Instrument auf dem Weg zu einer CO2-armen Produktion. Seit 2025 liegt der CO2-Preis bei 55 Euro pro Tonne in Deutschland. Für handelsintensive Branchen, dazu zählt die Herstellung von Malz, Stärke, Hefe, Fetten und Ölen, Kakaoerzeugnissen, Speiseeis und Backwaren, sind hohe CO2-Preise ein Wettbewerbsnachteil: Wenn Wettbewerber im Ausland keiner vergleichbar hohen CO2-Bepreisung unterliegen, kann die heimische Industrie diese nicht auf die Produktpreise umlegen. Es besteht die Gefahr, dass die Produktion infolge von Wettbewerbsnachteilen ins Ausland abwandert und dort zu höheren Emissionen führt („Carbon Leakage“).

Die bisher durch die Bundesregierung gewährten Kompensationen zum Schutz vor Carbon Leakage sind für die Branche von herausragender Bedeutung. Das zeigt der jüngste Bericht der Deutschen Emissionshandelsstelle (CLK-Bericht 2022): Demnach stand die Ernährungsindustrie im Jahr 2022 auf Platz 2 der Gesamt-Kompensationen, nach der chemischen Industrie und noch vor der Metallindustrie. Zugleich warten noch viele Unternehmen der Lebensmittelindustrie auf eine Aufnahme in die Liste zum Schutz vor Carbon-Leakage (BECV). Dies muss mit Nachdruck bei der Europäischen Kommission eingefordert werden.

Unsere Forderungen –Carbon Leakage-Schutz in EU-ETS 2 überführen:

  • Im Rahmen der Überführung des nationalen Emissionshandelssystems gemäß
    Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) in das Europäische Emissionshandelssystem EU-ETS 2 ab 1.1.2027 muss ein Carbon Leakage Schutz verbindlich festgeschrieben werden. Eine alleinige Verordnungsermächtigung der Bundesregierung, wie es der Gesetzesentwurf vom Oktober 2024 zum TEHG-Europarechtsanpassungsgesetz derzeit vorsieht, wird der immensen Bedeutung dieses Schutzinstrumentes nicht gerecht.
  • Die Carbon-Leakage-Verordnung (BECV), die bereits konform mit dem europäischen Beihilferecht (KUEBLL) ist, muss auch Anwendung im EU-ETS 2 ab 2027 finden.

3. Prozesswärmeintensive Industrien brauchen wettbewerbsfähige Gaspreise

Für prozesswärmeintensive Unternehmen sind Gaspreise ein erheblicher Standortfaktor, da der Energiebedarf bei der Produktion bzw. Verarbeitung der agrarischen Rohstoffe in einem erheblichen Umfang derzeit noch erdgasbasiert ist. Eine Branchenumfrage der BVE aus dem Jahr 2022 belegt, dass der Wechsel von Erdgas auf andere Energieträger mit einem erheblichen Investitionsaufwand, hohen Effizienzverlusten bei der Energiegewinnung und zeitlich mit einem entsprechenden Vorlauf verbunden ist. Die Erzeugung von Biogas oder Biomethan aus Abfallprodukten und Nebenprodukten der Ernährungswirtschaft sollte von der Politik als ergänzende Alternative zu Wasserstoff gesehen werden. Heimische Produktion, Versorgungssicherheit und Reduzierung der CO2-Emissionen sowie die wirtschaftliche Komponente stellen konkrete Vorteile dar. Der Einsatz von Biomethan erfordert weitaus weniger Energieaufwand als die Verflüssigung von Wasserstoff. Daher sollten die Hürden bei der Zulassung abgebaut werden.

Die Elektrifizierung von Prozesswärme ist derzeit mit einem unvertretbaren wirtschaftlichen Aufwand verbunden, sodass langfristig wasserstoffbasierte Lösungen erforderlich werden. Für die notwendigen, kostspieligen Investitionen ist jedoch Planungssicherheit entscheidend. Bis zu deren Umsetzung ist ein wettbewerbsfähiger Gaspreis unabdingbare Grundlage, um diese Investitionen zu erwirtschaften und zu rechtfertigen.

Unsere Forderungen — Folgeregelung für den Spitzenausgleich Gas:

  • Der Wegfall des Spitzenausgleichs bei Gas belastet prozesswärmeintensive Unternehmen massiv. Vor diesem Hintergrund bedarf es für den seit 1. Januar 2024 weggefallenen Spitzenausgleich bei Gas im Energiesteuergesetz dringend einer Folgeregelung, die der Wettbewerbssituation der betroffenen Unternehmen angemessen Rechnung trägt.
  • Biogas als klimafreundlicher Energieträger sollte als eine Lösung für nicht-elektrifizierbare Prozesse anerkannt werden und weiterhin vom Emissionshandel befreit sein. Gleiches gilt für den Einsatz von nachhaltiger Biomasse zur Energieversorgung, z. B. Holzpellets.

4. Industrie-Netzentgelte: Kein Schwarz-Weiß-Denken!

Die mit der Transformation zur Klimaneutralität verbundene Energiewende ist vor allem in den Bereichen der Stromübertragung, Stromverteilung und der Stromanschlüsse mit großen Herausforderungen verbunden. Notwendige Investitionen in die Netzinfrastruktur werden in den kommenden Jahren zu einem erheblichen Kostenaufwand führen, der mit einem Anstieg der Netzentgelte und damit der Strompreise in Deutschland einhergeht. Dies beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten.

Als großer Energieabnehmer begrüßt die energieintensive Ernährungsindustrie den Vorschlag der Bundesnetzagentur, mit der Fortentwicklung der Industrienetzentgelte einen Anreiz zu schaffen, die Stromabnahme von Industrieunternehmen an das jeweilige Stromangebot anzupassen.

Allerdings ist es zwingend erforderlich, bei der Neujustierung eine Brücke zu bauen zwischen der bestehenden konstanten Stromabnahme als Sockel energieintensiver Produktion und mehr Anreize zu setzen für flexible Stromverbräuche. Wer seinen Stromverbrauch in Zeiten verschiebt, in denen die Börse niedrige Preise aufweist und die Stromnetze noch Kapazitäten haben, sollte belohnt werden. Auch sollten Unternehmen, die bei Bedarf den Stromleistungsbedarf auf Wunsch der Stromversorger produktionstechnisch vermindern können, über die bestehenden Regelungen hinaus gefördert werden. Es darf keine Beschränkungen mehr geben, wie sie bisher durch Benutzungsstunden oder Mindestenergiemengenverbräuche gesetzt werden. Die Modernisierung der Strominfrastruktur, intelligente Messsysteme und die Dezentralisierung der Energieproduktion lassen es nicht nur zu, sondern führen zwingend zu der Anforderung, dass jeder Verbraucher, der sich netzdienlich verhält, entsprechend belohnt wird.

Das zugleich vorgeschlagene Auslaufen der Bandlastregelung gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV zum 1. Januar 2026 wird den gegenwärtigen Gegebenheiten der energieintensiven Produktion in Deutschland nicht gerecht und würde eine industrielle Produktion teilweise wirtschaftlich unrentabel machen. Bei der Fortentwicklung von Erleichterungen der Bandlastregelung muss das Potenzial der Summe kleiner und mittlerer Betriebe berücksichtigt werden. Auf regionaler Ebene können diese maßgeblich zur Netzstabilisierung beitragen. Die Regelungen der aktuellen StromNEV sollten deshalb grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2028 in Kraft bleiben. Die bereits getroffenen Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Netzbetreibern sollten bis zu deren Laufzeitende Bestand haben.

Unsere Forderungen — Flexibilisierung von Produktionsprozessen ermöglichen durch mehr Anreize und Verlängerung der individuellen Netzentgelte:

  • Um die Industrie zu befähigen, die Flexibilität von Prozessen durch ein Umrüsten der Anlagen zu steigern, müssen die individuellen Netzentgelte (gem. § 19 Abs. 2 StromNEV) verlängert sowie angemessene Übergangszeiträume geschaffen werden. Diese müssen die individuellen und regionalen Besonderheiten energieintensiver Branchen berücksichtigen.
  • Die Pufferfähigkeit bestehender Industriekraftwerke stellt ein bislang ungenutztes
    Potential zur Stabilisierung der Stromnetze dar. Um diese Potenziale zu heben, müssen Betriebe, die sich durch Flexibilisierung des Strombezugs bzw. Stromeinspeisung an der Stabilisierung des Stromnetzes beteiligen, für diese Strommengen von den Netzentgelten befreit werden.

5. Vorrang für den kosteneffizienten Ausbau von Netzen und Speicherkapazitäten

Der Ausbau der Netzinfrastruktur ist ein entscheidender Schritt, um langfristig Stromkosten zu senken und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern. Die Ernährungsindustrie unterstützt daher alle Ansätze der Politik, den Netzausbau schnell und kosteneffizient voranzubringen. Dieser sollte als gesamtgesellschaftliche, wichtige Investition in die Infrastruktur aus Steuermitteln vorangetrieben werden und nicht allein auf Basis eines Umlagesystems. Denn der Netzausbau ist der Treiber der Energiekosten, der unkalkulierbar ist und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte immer weiter sinken lässt. Daneben ist die Absicherung der Grundlast für die Produktion von sicheren Lebensmitteln unverzichtbar. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss im Einklang mit dem Ausbau entsprechend grundlastfähiger Kraftwerke und Kapazitätsmechanismen erfolgen.

Im Hinblick auf die schwankende Verfügbarkeit von erneuerbaren Energieträgern und die begrenzten Aufnahme- und Verteilungsmöglichkeiten ist ein umfangreicher und kosteneffizienter Auf- und Ausbau von Speicherkapazitäten dringend erforderlich. Diese Speicher müssen zeitnah in das Stromnetz integriert werden. Denn Stromspeicher können den Bedarf an anderen steuerbaren Kraftwerkskapazitäten kompensieren, wenn sie marktgerecht eingesetzt werden. Durch die Zwischenspeicherung von temporären Stromüberschüssen aus volatiler Photovoltaik- und Windstromerzeugung kann ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende geleistet werden. Eine ideale Lösung sind dezentrale Speichersysteme, die sich in unmittelbarer Nähe zu Engpasszonen im Stromnetz befinden, um Engpässe effizient und schnell zu überbrücken.

Unsere Forderung – Vorrang für kosteneffizienten Ausbau der Netzinfrastruktur und Speicherkapazitäten:

  • Damit erneuerbare Energien zur Deckung der Grundlast beitragen können, muss
    zeitgleich in den kosteneffizienten Ausbau Netzinfrastruktur und der Speicherkapazitäten investiert werden. Der derzeitige Flickenteppich ist nicht mehr zeitgemäß.

6. Zusammenfassung

Die energieintensive Ernährungsindustrie muss stärker in energiepolitische Entscheidungen einbezogen werden, da sie systemrelevant ist. Dazu zählen eine Ausweitung der Strompreiskompensationen und eine Priorisierung energieeffizienter Prozesswärme in politischen Diskussionen. Für die Dekarbonisierung dieser Industrie ist eine langfristige Politikstrategie erforderlich, die Innovationen und Investitionen fördert.

Im Rahmen der Überführung des nationalen Emissionshandels (BEHG) in das europäische EU-ETS 2 ab 2027 muss ein verbindlicher Carbon-Leakage-Schutz nach dem Vorbild der BECV verbindlich festgelegt werden.

Der Wegfall des Spitzenausgleichs bei Gas belastet prozesswärmeintensive Unternehmen erheblich. Es wird eine neue Regelung gefordert, um den betroffenen Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen zu bieten

Zur Steigerung der Flexibilität von Produktionsprozessen müssen Anreize geschaffen und die individuellen Netzentgelte verlängert werden. Unternehmen, die durch Flexibilisierung zur Stabilisierung der Stromnetze beitragen, sollten von Netzentgelten befreit werden.

Die Transformation der Energieversorgung muss neben der Erzeugung erneuerbarer Energien mit einem kosteneffizienten Ausbau der Netzinfrastruktur und der Speicherkapazitäten einhergehen.

Um die Energieintensive Ernährungsindustrie in eine klimafreundliche Zukunft am Standort Deutschland zu führen, müssen praxisnahe Transformation und sinkende Energiepreise Hand in Hand gehen.

In der Ernährungsindustrie erwirtschaften rund 6.000 Betriebe einen jährlichen Umsatz von 218 Mrd. Euro. Mit über 636.000 Beschäftigten ist diese Branche der viertgrößte Industriezweig Deutschlands. Dabei ist die Branche klein- und mittelständisch geprägt: 90 Prozent der Unternehmen der deutschen Ernährungsindustrie gehören dem Mittelstand an. Die Exportquote von 35 Prozent zeigt, dass Kunden auf der ganzen Welt die Qualität deutscher Lebensmittel
schätzen.

Die folgenden Verbände zeichnen dieses Positionspapier:

  • Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V. (BVE)
  • Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e. V. (BDSI)
  • Deutscher Mälzerbund e. V. (dmb)
  • Deutscher Verband der Hefeindustrie e. V.
  • OVID Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e. V.
  • Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS e. V.