Überarbeitung und Weiterentwicklung der lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. organisiert die Interessen der Lebensmittel- und Getränkehersteller in Deutschland und dankt für die Möglichkeit zu der Überarbeitung und Weiterentwicklung der lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. Stellung nehmen zu können. Die Bundesvereinigung bringt insbesondere ihre Expertise in den Bereichen Nachhaltigkeit und Umwelt in die Konsultation mit ein und unterstützt gleichzeitig die ernährungswissenschaftlichen Positionen des Lebensmittelverbandes Deutschland.
Einleitung
Eine nachhaltigere Ernährung erfordert eine Kaufentscheidung, die die verschiedenen Aspekte von Nachhaltigkeit berücksichtigt, denn das Lebensmittelangebot richtet sich nach der Wahl und Zahlungsbereitschaft des Verbrauchers. Um den Konsum und die Nachfrage auf allen Stufen der Lebensmittellieferkette in Zukunft noch nachhaltiger zu gestalten, ist auch der Verbraucher ein unverzichtbarer Akteur auf dem gemeinsamen Weg zur Gestaltung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme. Neben dem angebotsseitigen Engagement der Wirtschaft, bedarf es daher in gleichem Maße einer Mitwirkung des Verbrauchers sowie aller weiteren Akteure d. h. eines verantwortungsvollen Umgangs sämtlicher relevanter gesellschaftlicher Akteure mit den Ressourcen vom Acker bis zum Teller. Damit Verbraucher in der Lage sind, bewusste nachhaltigere Kaufentscheidungen zu treffen, benötigen sie ausreichende und glaubhafte Informationen sowie das Verständnis, um diese einordnen zu können1. Als Verbraucherinformationen stehen neben der umfangreichen Pflichtkennzeichnung auf Lebensmitteln, freiwillige Informationsangebote, z.B. auf der Verpackung, digital oder anderen Wegen, sowie staatliche oder private Qualitäts- oder Nachhaltigkeitssiegel zur Verfügung. Bildung bleibt elementare Voraussetzung für nachhaltige Konsummuster: Daher bleibt festzuhalten, dass die Befähigung zu einem nachhaltigeren Konsum nicht nur durch Regulierung von Verbraucherinformationen, sondern vorrangig auch durch Verbraucherbildung gefördert werden muss. Die Vermittlung entsprechender Kenntnisse muss insbesondere in den schulischen Lehrplänen vorgesehen werden. Ergänzende politische Maßnahmen zur Verbraucherbildung zu nachhaltigerem Konsum erachtet die Branche daher als zielführend und unterstützt in diesem Sinne auch wissenschaftliche lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen.
Notwendigkeit ausgewogener und qualitativer Ernährungsempfehlungen
Der Beibehaltung der Lebensmittelvielfalt sollte bei der Ableitung und Kommunikation der FBDGs eine größere Bedeutung zukommen. Die derzeitigen Ergebnisse könnten ansonsten eine einseitige Ernährungsweise begünstigen, da die Vielfalt der täglich in realistischen Verzehrmengen empfohlenen Lebensmittelgruppen deutlich reduziert wird. Wenngleich die Wahl eines mathematischen Optimierungsmodells nur quantitative Ernährungsempfehlungen ergeben kann und diese unter Verhältnismäßigkeitsaspekten von der DGE erwünscht sind für die überarbeiteten FBDGs, so bleiben qualitative Ernährungsempfehlungen weiterhin notwendig. Das starke Aggregationslevel der Lebensmittelgruppen in den FBDGs ermöglicht eine große Schwankungsbreite in der tatsächlichen Umsetzung durch den Verbraucher und damit auch in der Gesundheits- und Umweltwirkung. Ergänzende qualitative Empfehlungen zu Vielfalt, Bewusstsein, Bewegung oder Gewichtskontrolle bleiben daher notwendig.
Lückenhaftigkeit der gewählten Nachhaltigkeitsdefinition
Nachhaltigkeit bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Dabei sind die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftlich effizient, sozial gerecht, ökologisch tragfähig – gleichberechtigt zu betrachten2. Die von der DGE gewählte Nachhaltigkeitsdefinition ist insofern unvollständig, da sie die ökonomische Dimension gar nicht abbildet. Zudem entbehrt eine ungleiche Gewichtung von Umwelt- und Gesundheitsaspekten (alle Modelle außer Modell 3) der notwendigen gleichberechtigten Betrachtung der Nachhaltigkeitsdimensionen. Eine umweltverträgliche und gesundheitsförderliche Ernährung die wirtschaftlich nicht effizient ist, wird es jedoch nicht geben können. Insofern müssen die FBDGs, bei einem Anspruch der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien, alle Nachhaltigkeits- dimensionen eingeschlossen werden.
Zu kritisieren bleibt weiterhin, dass die ökologische Tragfähigkeit in den FBDGs nur anhand von zwei Indikatoren (Emissionen und Landnutzung) definiert werden. Dies wird einer Ökobilanzierung nicht gerecht. Zudem stehen die definierten Zielsetzungen der beiden Umweltindikatoren nicht im Einklang mit dem EU Green Deal, welcher eine Treibhausgasemissionsreduktion von 55% bis 2030 vorsieht und eine gleichzeitige Reduktion der Landnutzung um 15%. Ferner muss beachtet werden, dass im Rahmen der Lastenteilungsverordnung des Fit for 55 Pakets für die nicht unter das Emissionshandelssystem der EU fallenden Sektoren, wozu auch die Landwirtschaft gehört, bis 2030 die Treibhausgasemissionen auf EU-Ebene gegenüber 2005 um 40 % gesenkt werden sollen3. Die FBDGs schreiben jedoch jeweils ein 50% Reduktionsziel vor. Auch die Aussage der DGE, dass Tierwohl nicht mit Indikatoren unterlegt werden kann, erscheint angesichts einer umfassenden Gesetzgebung sowie freiwilligen Tierwohlinitiativen hierzu nur schwer nachvollziehbar. Ein korrekter Einbezug der Nachhaltigkeits- und Umweltauswirkungen in den FBDGs kann aus Sicht der Ernährungsindustrie nur anhand einer Lebenszyklusanalyse erfolgen. Dies entspricht auch der Maßgabe aktueller EU-Gesetzgebung4, wonach Umweltaussagen anhand wissenschaftlicher Methoden nachweisen müssen, dass die entsprechenden Umweltauswirkungen aus einer Lebenszyklusperspektive signifikant sind. Dabei muss im Zusammenhang mit den FBDGs jedoch berücksichtigt werden, dass solche Lebenszyklusanalysen (LCAs) nur auf Produktebene (nicht aggregiert) und mangels Datenverfügbarkeit auch nicht für alle Produkte erfolgen können. Wenngleich die Ernährungsindustrie sich dazu bekennt, insbesondere die Transparenz über den ökologischen Fußabdruck von Lebensmitteln und Getränken – als aussagekräftiges Instrument einer ganzheitlichen Bewertung von Umweltleistungen von Produkten – zu erhöhen und den Verbrauchern klare und zuverlässige Informationen zur Verfügung zu stellen, soweit die Daten- und Methodenverfügbarkeit es zulässt. Dennoch muss klar sein, dass für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsbewertung von Lebensmitteln nicht nur alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen – ökonomisch, ökologisch und sozial – berechenbar, sondern auch vergleichbar gemacht werden müssten. So müsste die Methodik bspw. den Beitrag zur Biodiversität mit dem CO2-Footprint, der Landbeanspruchung, Sozialstandards oder gar ökonomischen Aspekten vergleichbar machen. Weiter müssten im Sinne des der Nachhaltigkeit zugrundeliegenden Wesentlichkeitsprinzips auch methodische Lösungen für klassische Zielkonflikte gefunden werden (wenn bspw. bei saisonalen Produkten zwischen CO2-Fußabdruck und Regionalität abgewogen werden soll). Beides ist derzeit nicht wissenschaftsbasiert möglich5.
Sollte weiterhin beabsichtigt werden, Nachhaltigkeitsbewertungen in den Ernährungsempfehlungen umzusetzen, so sollten diese primär auf Aussagen zu ökologischen Produkteigenschaften begrenzt werden, da hier zumindest einige Methoden und Daten zur objektiven Bewertung und Überprüfung einiger Produkte verfügbar sind. So berücksichtigen Ökobilanzen bzw. der EU-Umweltfußabdruck (Product Environmental Footprint / PEF) die umweltbezogenen Auswirkungen von Produkten auf den verschiedenen Stufen von Anbau, Transport bis zur Verarbeitung und darüber hinaus. Es wird also der gesamte Lebenszyklus eines Produkts berücksichtigt. Nur so können glaubwürdige Aussagen zum ökologischen Fußabdruck getroffen werden.
Wichtig für die Glaubwürdigkeit von Umweltaussagen ist, dass konventionelle und ökologische Anbaumethoden in Hinsicht auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima nach den gleichen Kriterien bewertet werden. In der Agrar- und Ernährungswirtschaft gibt es zudem einen Trend, Produkte auf der Grundlage von Umwelt- informationen zu vergleichen. Ein solcher Vergleich kann auch dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck von Produkten zu verbessern, wenn er gut und glaubwürdig durchgeführt wird. Der Vergleich kann für ein und dasselbe Produkt im Laufe der Zeit, für verschiedene Produktrezepte, für verschiedene Produkte in einem Regal usw. durchgeführt werden. Um einen angemessenen und zuverlässigen Vergleich zwischen Produkten zu gewährleisten, müsste das Verbraucherverhalten beim Kauf von Lebensmitteln und Getränken nach dem ökologischen Fußabdruck in Übereinstimmung mit bspw. der PEF-Methode berücksichtigt werden. Gegenwärtig gibt es unzureichende Kenntnisse über die angemessene Modellierung und Bewertung des Verbraucher- verhaltens im Zusammenhang mit dem ökologischen Fußabdruck. Die DGE muss die derzeitigen Grenzen der Vergleichbarkeit von ökologischen Fußabdrücken von Lebensmitteln und die eingeschränkte Datenverfügbarkeit, insbesondere von Sekundärdaten, berücksichtigen.
Der kürzlich von der BVE veröffentliche Leitfaden „Ambitionierten Klimaschutz erfolgreich umsetzen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität“ zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der Ökobilanzierung für Lebensmittel auf. Er kann hier heruntergeladen werden: https://www.bve-online.de/presse/infothek/publikationen-jahresbericht/bve-klimaleitfaden-2023
Sollten die FBDGs weiterhin auch zur Kommunikation mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern genutzt werden, muss beachtet werden, dass Umweltaussagen, auch zu Emissionen und Landnutzung, auf Produkt- ebene allein von den Herstellern getroffen werden können und diesen vorbehalten bleiben müssen. Auf aggregierter Produktebene können solche Aussagen lediglich Orientierungscharakter haben und den Verbrauchern müssen die Grundlagen und Grenzen solcher Aussagen jederzeit transparent gemacht werden.
Abschließende Bemerkung
Zu besseren Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse sollte die DGE eine schriftliche Dokumentation der Methodik und Ergebnisse aller berechneten Modelle zur Verfügung stellen. Diese sollte auch die disaggregierten Ergebnisse (FoodEx2 Level 4) enthalten. Im Sinne eines transparenten Prozesses würden wir es zudem sehr begrüßen, wenn sowohl das Erklärvideo als auch ein schriftlicher Bericht auf die Webseite der DGE gestellt und für die breite Öffentlichkeit einsehbar wäre.
1 Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, S.25, Ziel 12.8
2„Sie [die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030] sind integriert und unteilbar und tragen in ausgewogener Weise den drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung Rechnung: der wirtschaftlichen, der sozialen und der ök ologischen Dimension.“; Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, S.2
3 Rat der EU Pressemitteilung 28. März 2023 13:10; Paket „Fit für 55“: Rat verabschiedet Verordnungen über Lastenteilung sowie über Landnutzung und Forstwirtschaft
4 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen, Brüssel, den 30.3.2022, COM(2022) 143 final, 2022/0092 (COD) Proposal for a Directive oft he European Parliament and oft he Council on substantiation and communication of explicit environmental claims (Green Claims Directive), Brussels, 22.3.2023, COM(2023) 166 final, 2023/0085 (COD)
5 Vgl. “Challenges for the balanced attribution of livestock’s environmental impacts: the art of conveying simple messages around complex realities”; Animal Frontiers, Volume 13, Issue 2, April 2023, Pages 35–44, https://doi.org/10.1093/af/vfac096