Präzisionsfermentation: Die Zukunft der industriellen Molekülproduktion?

Lebensmittel aus dem Bioreaktor, deren Produktion mit weniger Fläche und weitestgehend ohne Tierhaltung auskommen soll und dadurch weniger Treibhausgase ausstößt als traditionelle Landwirtschaft. Das ist die Vision, die sich hinter dem Begriff der „Präzisionsfermentation“ verbirgt. Was steckt hinter dieser Technik?

Bei der Präzisionsfermentation werden Mikroorganismen als Zellfabriken programmiert, um nahezu jedes komplexe organische Molekül herzustellen. Durch die Kombination von biologischen und informationstechnischen Methoden zielt diese Technik darauf ab, Chemikalien und Wirkstoffe wie Proteine, Vitamine, Enzyme und Fette im industriellen Maßstab zu produzieren.

Im Gegensatz zu klassischen Fermentationsmethoden zielt die Präzisionsfermentation darauf ab, die Fermentation durch präzise Kontrolle der Umgebungsbedingungen und Optimierung der mikrobiellen Kultur zu verbessern. Hierbei kommen modernste Technologien wie automatisierte Systeme, Sensoren und Datenanalyse zum Einsatz, um den Fermentationsprozess zu überwachen und anzupassen.

Durch die Präzisionsfermentation können genau definierte Produkte hergestellt werden, indem spezifische Mikroorganismen mit den gewünschten genetischen Eigenschaften verwendet werden. Dies ermöglicht die Produktion von maßgeschneiderten Produkten mit verbesserten Eigenschaften, wie z.B. höhere Ausbeute, bessere Qualität oder spezifische Zusammensetzungen.

Rasantes Wachstum

Die Fermentationsindustrie verzeichnet derzeit ein beeindruckendes Wachstum. Laut dem Bericht des Good Food Institute (GFI) über den Stand der Industrie aus dem Jahr 2022 sind weltweit 136 Unternehmen auf die Fermentation spezialisiert, was einer Steigerung von 12% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Darüber hinaus haben mindestens 100 Unternehmen Produktlinien, die sich auf alternative Proteinfermentation konzentrieren. Branchengrößen wie Nestlé, Unilever und die Bel Group sind in diesem Bereich aktiv. Auch von der staatlichen Ebene erhält die Fermentationsindustrie großzügige Förderung. So stellte die Europäische Union dem Forschungskooperativ HealthFerm 13,1 Millionen Euro im Jahr 2022 zur Verfügung. Die 22 Partner sollen zu Gesundheit und Nachhaltigkeit pflanzenbasierter fermentierter Lebensmittel forschen. Das deutsche Unternehmen „Mushlabs“, ein Vorreiter bei der Herstellung eines fermentierten Pilz-Myzel, erhielt 2,4 Millionen Euro der EU.

Beispiele aus der Industrie

Neben „Mushlabs“ gibt es noch weitere herausragende Beispiele für die Anwendung der Präzisionsfermentation:

„Those Vegan Cowboys“ aus Belgien: Das Start-up verwendet beheizte Bioreaktoren mit einem Volumen von bis zu 300 Litern, in denen genetisch veränderte Mikroorganismen mit Zucker gefüttert werden, um Milchproteine herzustellen. Durch den Einsatz von Technologie wie Druckmessgeräten und Uhren können Parameter wie die Futterzugabe, Temperatur und der pH-Wert des Wassers kontrolliert werden.

„New Culture“ aus den USA: Das Unternehmen hat eine Partnerschaft mit CJ CheilJedang, einem milliardenschweren koreanischen Unternehmen, das 25% des amerikanischen Marktes für Tiefkühlpizzen kontrolliert. New Culture stellt tierzellenfreien Mozzarella her, der voraussichtlich 2023 auf den Markt kommen wird. Dabei werden Mikroorganismen mit Proteinen und Zucker gefüttert, um eine Alternative zum tierischen Kasein zu produzieren. Dieser Prozess findet in großen Fermentationstanks statt.

„Formo“ aus Berlin: Das Start-up produziert naturidentischen Käse mithilfe von Mikroorganismen, die Milcheiweiß herstellen. Ihre ersten Käseprodukte sollen 2023 zunächst in Asien auf den Markt kommen, aufgrund beschleunigter Zulassungsverfahren.

Herausforderungen und potenzielle Risiken

Trotz des enormen Potenzials der Präzisionsfermentation steht die Technik noch vor einigen Herausforderungen. Engpässe in der Produktionskapazität stellen ein großes Hindernis für eine großflächige Anwendung dar. Auf regulatorischer Ebene stellen Lebensmittel, die mithilfe der Präzisionsfermentation hergestellt werden, aufgrund ihrer Neuheit und Veränderung gegenüber traditionellen Lebensmitteln eine Herausforderung dar. Diese fallen häufig unter die EU-Regulierung bezüglich „novel foods“. Die Zulassungsverfahren sind hier im Vergleich zu anderen Märkten, etwa in Asien, strenger und zeitaufwendiger.

Die Versorgung der Mikroorganismen mit Nahrung, insbesondere Zucker, könnte mit Biomasse konkurrieren, die direkt als Lebens- und Futtermittel verwendet wird. Einige Unternehmen nutzen bereits Bioabfälle oder Gras, um Zucker für die Organismen zu gewinnen. Ein weiterer Aspekt sind die zusätzlichen Ressourcen, die für den Prozess benötigt werden, wie Energie, Beton, Stahl und Kunststoff für die großen Fermentationstanks. Die Umweltauswirkungen im Vergleich zur Herstellung tierischer Produkte müssen sorgfältig bewertet werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass modifizierte Mikroorganismen in die Umwelt gelangen und deren Interaktion mit der natürlichen Umgebung ist noch nicht ausreichend erforscht.

Ausblick

Das rasante Wachstum der Branche sowie die großen Fördergelder sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Präzisionsfermentation und die Fermentationsindustrie noch einen weiten Weg zu gehen haben, um großflächig zu einer zukunftsfähigen Ernährung beizutragen. Neben regulatorischen Erleichterungen können verbesserte Forschung und Industrieübergreifende Zusammenarbeit zum Ausbau der Technik beitragen.

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