Wie aktuelle Zahlen des Marktforschungsunternehmens NIQ zeigen, ist das schlechte Gewissen bei vermeintlich unökologischem Konsum gesunken. Während 2019 noch 30 Prozent der Menschen angaben, bei nicht nachhaltigem Verhalten Schuldgefühle zu haben, sind es 2024 nur noch 22 Prozent. Auch die Bereitschaft, persönliche Opfer für den Klimaschutz zu bringen, ist rückläufig. Das spiegelt sich auch beim Griff ins Supermarktregal wider.
Nachhaltig ja – wenn der Preis stimmt
„Nachhaltigkeit wird zunehmend als Luxus betrachtet“, erklärt NIQ-Konsumexpertin Petra Süptitz. Die Inflation und anhaltende wirtschaftliche Unsicherheiten hätten die Prioritäten verschoben. Verbraucher orientierten sich wieder stärker an Sonderangeboten und Aktionspreisen. „Der Konsum ist pragmatischer geworden – Nachhaltigkeit findet dort statt, wo der Preis stimmt“, so Süptitz.
Dieser Trend lässt sich auch in Zahlen ablesen: Der NIQ-Nachhaltigkeitsindex fiel im Januar 2025 auf einen neuen Tiefstand von 91,3 Punkten. Besonders stark war der Rückgang bei größeren Anschaffungen mit nachhaltigem Anspruch. Hier sank der Anteil der Käufer von 28 auf 25 Prozent.
Im Lebensmittelsektor gibt es auch gegenläufige Tendenzen. Besonders Bio-Produkte sowie vegane und vegetarische Lebensmittel haben sich als krisenresistent erwiesen und verzeichnen weiterhin ein stärkeres Wachstum als konventionelle Alternativen. Der Absatz von Bio-Lebensmitteln stieg 2024 um mehr als zehn Prozent. Der Markt wächst vor allem im Discount-Bereich und wird häufig von Handelsmarken getrieben, welche die Entsprechenden Produkte zu attraktiveren Preisen anbieten.
„Bio hat sich im Alltag vieler Menschen etabliert – vor allem, wenn Preis und Qualität stimmen“, so Süptitz. Für knapp 40 Prozent der Käufer nachhaltiger Lebensmittel ist die Unterstützung regionaler Produzenten ausschlaggebend. Dahinter folgen Natur- und Klimaschutz, Tierwohl sowie ein geringerer Verpackungsmüll als Kaufmotive.
Gesundheit verliert an Relevanz
Parallel zum sinkenden Interesse an Nachhaltigkeit ist auch das Gesundheitsbewusstsein rückläufig. Laut NIQ sank der Anteil der Konsumenten, die aktiv nach gesunden Lebensmitteln suchen, von 29 Prozent im Jahr 2020 auf aktuell 22 Prozent. Dieser Wert liegt sogar unter dem Vor-Corona-Niveau. Der Fokus liegt stärker auf kurzfristigem Wohlbefinden und ästhetischer Wirkung: Proteinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel liegen im Trend, vor allem bei jungen Zielgruppen.
Weniger Luxus, dafür mehr Convenience im Homeoffice
Die Pandemie hat viele Arbeitnehmer ins Homeoffice katapultiert. Aufgrund der eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten hatten Verbraucher in dieser Zeit mehr Geld zur Verfügung, das sie unter anderem auch für Premium-Lebensmittel wie Feinkost und Schaumwein ausgaben – man wollte sich etwas gönnen. Mit dem Ende der Pandemie und dem Anstieg der Inflation änderte sich das Konsumverhalten wieder: Der „Gönn-dir“-Trend flaute ab, die Konsumenten wurden preissensibler.
Ein Konsumverhalten, das jedoch geblieben ist, ist die Bequemlichkeit beim Essen im Homeoffice. Convenience-Food für zu Hause bleibt gefragt: Vom schnellen Tiefkühl-Gericht bis zur Trinkmahlzeit suchen viele Verbraucher nach wie vor nach schnellen und unkomplizierten Lösungen für die Mittagspause.
Fazit: Zwischen Wertewandel und Preisdruck
Die Nachfrage nach nachhaltigen Lebensmitteln ist heute stärker an den Preis gekoppelt als je zuvor. Für die Lebensmittelbranche bedeutet das: Nachhaltigkeit ist kein Selbstläufer mehr – aber nach wie vor ein starkes Argument, wenn Preis, Nutzen und Überzeugung zusammenpassen. „Die großen Gewinner sind jene Unternehmen, die sich schnell an diese veränderten Bedürfnisse anpassen konnten. Unternehmen müssen zwischen kurzfristigen Trenderscheinungen, wie etwa der ‚Dubai-Schokolade‘, und langfristigen Entwicklungen unterscheiden können. In unsicheren Zeiten, in denen sich Konsumverhalten schnell ändern kann, benötigen Unternehmen verlässliche und aktuelle Daten, um stets auf alles vorbereitet zu sein“, resümiert Petra Süptitz, Expertin für Konsumententrends bei NIQ.