Die Stimmung im Hopfingerbräu am Brandenburger Tor ist energiegeladen. Bereits nach den ersten Hochrechnungen ist klar: Die Union ist die klare Gewinnerin der vorgezogenen Bundestagswahl. Sie kommt laut vorläufigem Ergebnis auf 28,5 Prozent. „Wir freuen uns, dass wir nach der schwierigen Wahl 2021 wieder Vertrauen der Menschen zurückgewonnen haben und fast 30 Prozent erreicht haben. Das ist ein großer Erfolg von Friedrich Merz und Carsten Linnemann, dass sie die Partei neu aufgestellt haben und Vertrauen zurückgewonnen haben“, sagt Tilman Kuban, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU), in der Talkrunde.
Harte Koalitionsverhandlungen
Hinter der CDU liegt die AfD mit 20,8 Prozent. Die SPD fuhr mit 16,4 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein. Die Grünen kamen auf 11,6 Prozent der Stimmen. FDP und BSW scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Es läuft auf Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD hinaus. Kuban dazu: „Wir haben sehr konkrete Forderungen. Die wollen wir umsetzen. Und da werden wir sehr hart verhandeln, weil am Ende klar ist, dass der eine Partner doppelt so groß sein wird wie der andere. Und das muss sich am Ende auch in den inhaltlichen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen widerspiegeln.“

Auf die Frage, ob für die deutsche Wirtschaft einer Zweier- oder Dreier-Konstellation besser wäre, antwortet er: „Für die Wirtschaft wäre besser, wenn es einer Regierung gelingen würde, Kontinuität zu wahren und verlässliche Rahmenbedingungen für ein etwas längeren Zeitraum zu organisieren. Ich glaube, es war ein Fehler der letzten Regierung, dass sie sehr ideologisch unbedingt Dinge durchsetzen wollten, obwohl sie dafür keinen breiten gesellschaftlichen Konsens hatte.“
„Wir brauchen jetzt klare Statements“
Christian von Boetticher, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, nennt das Wahlergebnis ein wichtiges Signal mit Blick auf die nationalen wie internationalen Herausforderungen. „Jetzt kommt es darauf an, dass wir einen guten Koalitionsvertrag bekommen, bei dem die Belange der Migration und vor allem der Wirtschaftspolitik nachhaltig Niederschlag finden. Die Wirtschaft erwartet von der neuen Regierung als erstes klare Statements in Richtung Entbürokratisierung“, so Boetticher.

Er freue sich, dass Friedrich Merz Kanzler wird, empfinde das Ergebnis mit unter 30 Prozent der Stimmen jedoch als nicht zufriedenstellend. Angesichts des „Desasters“, das die Ampel angerichtet habe, hätte die Union ein größerer Nutznießer sein müssen. Er zeigt sich zudem enttäuscht, dass die FDP nicht in den Bundestag einzieht. „Die Wirtschaft braucht auch eine wirtschaftsliberale Stimme im Parlament“, so Boetticher.
Dem Markt wieder mehr vertrauen
Mit Blick auf den schwächelnden deutschen Wirtschaftsstandort zeigt sich Prof. Dr. Heike Marita Hölzner optimistisch angesichts eines politischen Personalwechsels. Hölzner ist Professorin für Entrepreneurship und Mittelstandsmanagement an der HTW in Berlin. Sie weist darauf hin, dass Deutschland nicht erst seit 3 Jahren an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verliert und es nicht mit einer konjunkturellen, sondern mit einer strukturellen Wirtschaftskrise zu tun haben.
„Eine neue Regierung muss fundamentale strukturelle Reformen vornehmen. Wir müssen dem Markt wieder mehr vertrauen. Wir müssen Unternehmen das Handeln erleichtern durch die Senkung von Unternehmenssteuern und durch Bürokratieabbau. Alleine durch Abbau von Regulierungen und Dokumentationspflichten können wir neue Wirtschaftskräfte freisetzen. Die drei Schwerpunkte sind: Kosten, Fachkräfte und Steuersenkungen“, so die studierte Ökonomin.

„Auch in der Industriepolitik befindet sich Deutschland in einem Strukturwandel“, so Hölzner weiter. „Es hilft nichts, mit Subventionen dagegen anzuarbeiten. Auch da muss man den Marktkräften mehr ihren Lauf lassen, weniger regulierend eingreifen und stärker am Anfang des Funnels unterstützen.“
Es sei jetzt wichtig, eine positive Wirtschaftsdynamik auszulösen und positive Entwicklungen in der Wirtschaft sichtbar zu machen. „Wir haben uns im letzten Jahr zu sehr auf die Probleme fokussiert und viel zu wenig auf das geschaut, was auch gut läuft.“ Um die Hoffnungen zu erfüllen, sei es unerlässlich, dass „unmittelbar nach der Regierungsbildung ein paar ganz handfeste, sehr kurzfristige Maßnahmen sehen werden, also dass die Menschen, aber auch der Markt das Gefühl bekommt, Politik wird wieder wirksam“, so Hölzner.
Von der Ampel-Politik aufgeschreckt
„Ich glaube insgesamt wird in der Wirtschaft die Erleichterung darüber, dass nicht mehr Agora Energiewende am Kabinettstisch sitzt, sondern jemand, dem auch der Industriestandort etwas wert ist, eher groß sein“, resümiert Daniel Gräber, Leiter des Ressorts Kapital bei Cicero – Magazin für politische Kultur.

Mit Blick auf die hohe Wahlbeteiligung sagt er: „Ich glaube, dass viele in Deutschland verstanden haben, dass von dieser Regierung wirklich etwas abhängt. Und zwar auch, ob unser Parteiensystem, wie wir es jetzt gerade haben, noch Bestand hat. Auf linker Seite hat auch die Stärke der AfD mobilisiert. Auf der bürgerlich-konservativ-liberalen Seite hat ein Wille zur Veränderung mobilisiert. Viele wurden sicher auch von der Grün gefärbten Ampel-Politik aufgeschreckt.“
„Die Wahl markiert einen Wendepunkt“
Aus Sicht von Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, hat die hohe Wahlbeteiligung gezeigt, „dass die Deutschen eine starke und lebendige Demokratie wertschätzen“. Mit ihrer Kampagne „Lieber wählen“ hatte die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie gemeinsam mit dem Lebensmittelverband Deutschland dafür geworben, wählen zu gehen.
In einer aktuellen Pressemeldung spricht Minhoff von einem Wendepunkt: „Es ist essenziell, dass die neue Regierung klare und verlässliche Maßnahmen ergreift, die nicht nur der gesamten Wirtschaft, sondern insbesondere auch unserer Branche zugutekommen“, betont Minhoff. „Die Ernährungsindustrie ist ein zentraler Motor der deutschen Wirtschaft. Eine starke Lebensmittelindustrie ist essentiell für die Versorgungssicherheit, die wirtschaftliche Stabilität und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“, so Minhoff weiter. Dazu sollte die neue Regierung Bürokratie verringern, Investitionen in Forschung und Entwicklung erleichtern, die regulatorischen Rahmenbedingungen optimieren und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder stärken.
Wer den Wirtschafts-Talk zur Wahl verpasst hat, kann ihn sich >> hier anschauen. Er ist eine Veranstaltung von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V. dem Lebensmittelverband Deutschland e.V. und dem Bundesverband Beteiligungskapital (BVK), präsentiert vom Cicero – Magazin für politische Kultur.