Der Buchautor beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit den Themen Ernährung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Innovation. Seine Arbeiten wurden in internationalen Fachzeitschriften und Fachbüchern veröffentlicht, zum Beispiel The New York Times und der Folha de S.Paulo.
BVE: Herr Rubach, in Medien und Politik scheint sich eine grundlegende Auffassung verfestigt zu haben, dass pflanzliche Ernährung klimafreundlicher sei als eine Ernährungsweise, in der auch tierische Proteine vorkommen. Stimmt das?
Malte Rubach: Nein, diese pauschale Aussage ist nicht zulässig, weil sie empirisch nicht belegt ist. Es existieren lediglich Modellstudien, die aber offenbar Annahmen über die Rahmenbedingungen treffen, die fernab der Realität liegen. Zum Beispiel wird die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen oft vernachlässigt, was eigentlich der Sinn von Ernährung ist. Aber auch unabhängig davon, ob der Anteil pflanzlicher Lebensmittel bezogen auf die Menge, Kalorien oder Protein hoch oder weniger hoch liegt, lässt nicht auf die entstehenden Treibhausgas-Emissionen schließen.
Zum Beispiel liegt der Anteil pflanzlicher Proteinversorgung in Deutschland bei 39 Prozent und die Treibhausgasemissionen des gesamten Lebensmittelsystems pro Kopf bei 2 Tonnen. In West-Afrika liegt der Anteil pflanzlicher Proteine bei 76 Prozent, die Treibhausgas-Emissionen aber bei 2,5 Tonnen. Es kommt also auf die Effizienz des gesamten Systems an, der Anteil pflanzlicher Lebensmittel ist dabei nur ein Faktor von vielen, aber nicht der Allesentscheidende.
BVE: Oft wird kritisiert, dass die Erzeugung von Rindfleisch zu viel Frischwasser verbraucht. Ist der Wasserverbrauch tatsächlich so viel höher als bei pflanzlichen Alternativprodukten?
Malte Rubach: Ja, der Wasserverbrauch von tierischen Lebensmitteln und speziell Rindfleisch ist bilanztechnisch immer größer als der von pflanzlichen Lebensmitteln, da pro Kilogramm tierischen Lebensmittels ja entsprechend mehrere Kilogramm pflanzliche Futtermittel eingerechnet werden müssen. So konzentriert sich bildlich gesprochen der Wasserverbrauch der Pflanzen im Tier. Allerdings ist hier auch wieder zu unterscheiden, wo ein Lebensmittel erzeugt wird. Solange ausreichend Niederschläge fallen, wird nämlich weniger Grund- und Oberflächenwasser aus Flüssen und Seen zur künstlichen Bewässerung benutzt. Dieser Verbrauch an Frischwasser ist entscheidend, denn erstens konkurriert er mit anderen überlebenswichtigen Frischwassernutzungen wie Hygiene, Energieerzeugung oder kritischen Industrien und zweitens sind die Frischwasserreserven bei wenig Niederschlägen irgendwann erschöpft.
Außerdem ist entscheidend, wie viel wir überhaupt von einem Lebensmittel essen, weil sich so erst eine sinnvolle Gesamtbilanz zur Bewertung des Frischwasserverbrauchs unserer Ernährung bilden lässt. Und die zeigt klar, dass bereits jetzt 80 Prozent des Frischwasserverbrauchs durch unseren Verzehr pflanzlicher Lebensmittel verursacht wird. Einfach deshalb, weil wir davon mengenmäßig viel mehr essen und sie dazu auch noch im größeren Umfang aus trockenen Anbauregionen im Ausland importiert werden. Leider wird in der öffentlichen Debatte immer wieder mit unsinnigen Vergleichen das gegenteilige Bild erzeugt, dass tierische Lebensmittel Wasserverschwendung seien. Sie sind es nicht, vor allem wenn man den Beitrag zur Proteinversorgung betrachtet.
BVE: Es wird vielfach kritisiert, dass wir hier in Deutschland generell zu viel Tierhaltung hätten – ist dieser Vorwurf berechtigt?
Malte Rubach: Bei diesem Thema wird oft mit dem hohen Beitrag der Tierhaltung zu Landnutzung und Treibhausgasemissionen der deutschen Landwirtschaft argumentiert. Das ist für die nationale Quellenbilanz auch korrekt, doch verzerrt es die Tatsache, dass in der konsumseitigen Bilanz pflanzliche Lebensmittel und Getränke auf pflanzlicher Rohstoffbasis fast 2/3 der Landnutzung durch deutsche Ernährung ausmachen und 46 Prozent der Treibhausgase. Bei einer Reduktion der Tierhaltung im Deutschland wäre auch zu beachten, dass tierische Lebensmittel bei anhaltender Nachfrage vermehrt aus dem Ausland importiert werden, die postulierten Einsparungen in der nationalen Quellenbilanz also woanders vollständig oder sogar überkompensiert werden, was Landnutzung und Treibhausgase betrifft. Selbst bei angepasster Inland-Nachfrage können diese Leackage-Effekte auftreten.
Die Exportwirtschaft der deutschen Land- und Lebensmittelwirtschaft würde schrumpfen, was Wohlfahrtsverluste bedeutet. Und durch verstärkte Importe tierischer und pflanzlicher Lebensmittel würde der Frischwasserverbrauch für unsere Ernährung im Ausland steigen. Forderungen, wie die Halbierung der Tierhaltung und Ähnliches, sollten in ihren Konsequenzen daher gut überlegt sein, wenn wir uns damit neben den genannten Folgen nicht auch noch einen wichtigen Stützpfeiler unserer Ernährungssicherheit einreißen.
BVE: Sie erwähnen, dass im aktuellen Diskurs die kritische Betrachtung von pflanzenbasierter Ernährung fehlt. Welche Hauptvorurteile und Herausforderungen sehen Sie bei der Förderung von pflanzenbasierten Nahrungsmitteln? Sind Ersatzprodukte für Fleisch tatsächlich besser für die Klimabilanz?
Malte Rubach: Zunächst einmal ist das Spektrum pflanzenbasierter Ernährung sehr breit und reicht von den Ernährungsweisen mit tierischen Lebensmitteln über vegetarische bis hin zu veganer Ernährung. Auch unsere Ernährung in Deutschland ist mit einem Anteil von 60 bis 70 Prozent pflanzlicher Lebensmittel heute schon pflanzenbasiert. Klar ist, dass mit zunehmender Einschränkung der Lebensmittelauswahl auch das Risiko für einen Nährstoffmangel steigt. So zeigen bereits Kurzzeitstudien, dass selbst bei einer bewussten veganen Ernährung schnell ein Proteinmangel entstehen kann und auch die Proteinqualität abnimmt. Auch die Zufuhr von Kalzium, Vitamin A, Vitamin B12 und Eisen bei Frauen ist über einen längeren Zeitraum besonders kritisch zu sehen. Pflanzenbasierte Lebensmittel müssten daher so gestaltet sein, dass sie wesentlich zur Deckung des Nährstoffbedarfs beitragen können. Unverarbeitete pflanzliche Lebensmittel sind in dieser Hinsicht aber ohnehin vorteilhafter, weil sie noch sämtliche Inhaltsstoffe enthalten, die bei starker Verarbeitung verloren gehen können. Auch mit Bezug auf die Klimabilanz sind sie vorteilhafter als Ersatzprodukte für Fleisch oder Milch, weil keine lange Verarbeitungskette notwendig ist.
BVE: Tierhaltern werden zwei gegensätzliche Vorwürfe gemacht: Die einen kritisieren, dass sie ihr Futter nicht selbst anbauen und zu viel Futter dazukaufen, etwa Soja aus Brasilien, und dort Brandrodung, Monokulturen und Artensterben fördern. Der andere Vorwurf lautet, dass in Deutschland zu viel Ackerfläche für den Anbau von Tierfutter verschwendet wird, wo man doch dort etwas anpflanzen könnte, was direkt vom Menschen verzehrt werden könnte – ohne den Umweg durch das Tier. Welcher Vorwurf ist berechtigt(er)?
Malte Rubach: Ein Blick in die Futtermittelbilanz kann dabei helfen, Licht ins Dunkel zu bringen. 96 Prozent aller Futtermittel, die in Deutschland verfüttert werden, werden auch in Deutschland angebaut oder gewonnen. Diese Futtermittel entstehen in Deutschland auf etwa zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Davon ist wiederum jeweils etwa die Hälfte Ackerfläche, die mit Futtermittelpflanzen belegt ist, und Grünland, das auch nur in dieser Form für die Tierhaltung genutzt werden sollte. Netto stünden also rund vier bis fünf Millionen Hektar Ackerfläche zur Verfügung, um in Deutschland statt Futtermitteln direkt Nahrungsmittel anzubauen. Abgesehen davon, dass uns dann für die Erzeugung unsers pflanzlichen Lebensmittelverzehrs immer noch mindestens 15 Millionen Hektar fehlen würden und wir derzeit für Fleisch und Milch bei der vorhandenen Flächennutzung einen Selbstversorgungsgrad von über hundert Prozent erreichen, wäre die Frage, was dort angebaut werden sollte?
Sowohl die Witterungs- als auch Bodenbedingungen lassen nicht die Vielfalt an Gemüse und Obst zu, die der deutsche Verbraucher präferiert. An Weizen und Kartoffeln mangelt es uns jetzt schon nicht, der Selbstversorgungsgrad liegt auch hier über hundert Prozent. Für mehr Hülsenfrüchte bräuchte es erst einmal die Nachfrage und selbst dann bräuchten wir zum Aufrechterhalt der Proteinversorgung immer noch eine starke tierische Erzeugung. Sowohl aus agrarökologischer als auch -ökonomischer Sicht sind die sinnvollen Spielräume also recht klein, wenn wir weiterhin eine hohe Ernährungssicherheit garantieren wollen. Und übrigens sind auch Sojafuttermittelimporte aus Brasilien rückläufig und der Flächenverbrauch durch deutsche Ernährung in Brasilien wird zu zwei Drittel durch pflanzliche Lebensmittel und Getränke auf pflanzlicher Rohstoffbasis verursacht.
BVE: Sind die ernährungsrelevanten Inhaltsstoffe (Kalorien, Proteine, Mineralien) aus tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln ohne weiteres vergleichbar? Oder anders gefragt: Kann ich mit derselben Menge pflanzlicher Lebensmittel dieselbe Anzahl von Menschen gesund ernähren wie mit der gleichen Menge tierischer Lebensmittel?
Malte Rubach: Nein, ein Ersatz von tierischen Lebensmitteln eins zu eins durch pflanzliche Lebensmittel und umgekehrt ist nicht möglich. Daher ist eine vegane Ernährung auch per se schon einmal eine Mangelernährung, allein deshalb, weil Vitamin B12 in pflanzlichen Lebensmitteln nicht vorkommt. Der zweite Aspekt wäre die Proteinqualität. Auch wenn die meisten Proteinpflanzen sämtliche Aminosäuren enthalten, dann nicht immer in ausreichender Menge und auch die Verdaulichkeit pflanzlicher Proteine ist nicht so gut wie die von tierischen Proteinen. Zwar könnte man mit bestimmten Kombinationen pflanzlicher Proteinquellen eine ähnliche Qualität erreichen, aber die müssen erstmal immer und überall in ausreichender Menge verfügbar sein. Das ist schon in Deutschland nicht für alle Menschen möglich und weltweit sieht man einen klaren Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil pflanzlichen Proteins in der Versorgung und mangelnder Proteinqualität, was sich zum Beispiel durch hohe Raten an Minderwachstum bei Kindern bemerkbar macht. Studien in Deutschland zeigen ebenfalls ein nicht altersgerechtes Wachstum vegan ernährter Kinder. Schon kurze Phasen veganer Ernährung können zu Proteinmangelernährung und Muskelschwund führen, was langfristig auch für Erwachsene problematisch ist.
Weiter geht es mit der Verfügbarkeit wichtiger Mikronährstoffe wie Kalzium oder Eisen, weil auch diese Nährstoffe aus pflanzlichen Lebensmitteln nicht optimal in den Körper aufgenommen werden. Vegan lebende Menschen zeigen eine geringere Knochendichte und damit ein erhöhtes Knochenbruchrisiko. Je mehr tierische Lebensmittel aus dem Speiseplan fallen, desto bewusster muss die Ernährung also geplant und mit Nahrungsergänzungsmitteln angereichert werden. Umgekehrt würden ohne pflanzliche Lebensmittel auch wichtige Quellen für Vitamin E, Vitamin C, Folsäure und andere Vitamine fehlen, doch ließe sich das tatsächlich durch den Verzehr von tierischen Innereien kompensieren. Eine pflanzenfreie Ernährung kommt aber nur in einzelnen Ernährungskulturen vor und ist ansonsten kaum verbreitet.
BVE: Angesichts der begrenzten landwirtschaftlichen Kapazitäten für pflanzliche Lebensmittel in Deutschland und der Sorge um Importabhängigkeit: Welche Strategien oder Änderungen in der Er-nährungsweise könnten die Nachhaltigkeit verbessern, ohne auf Importe angewiesen zu sein?
Malte Rubach: Ich finde es beeindruckend, dass das deutsche Lebensmittelsystem seine Treibhausgasemissionen seit 1990 insgesamt um 25 Prozent reduzieren konnte. Bei gleicher Erzeugermenge ist das eine sehr gute Leistung, wenn man bedenkt, dass der weltweite Trend andersherum verläuft und vergleichbare Agrarproduzenten diese Umkehr nicht bewerkstelligen konnten. Auch die Ernährungsweise hat sich in dieser Zeit kaum gewandelt. Die letzte große Veränderung fand im Vergleich zu vor und nach dem zweiten Weltkrieg statt, seitdem sind es mal hier und mal da ein paar Kilogramm mehr oder weniger von dem einen oder anderen Lebensmittel. Über die meisten Trends wird ein großer Medienhype veranstaltet, das Marketing von Herstellern tut ein Übriges. Letztlich werden wir hier weiterhin die Lebensmittel konsumieren, die hier vorrangig unter guten ökologischen und ökonomischen Bedingungen erzeugt werden können: Fleisch, Milch, Weizen, Kartoffeln und dazu Obst und Gemüse aus der Region plus Importe. Die Verarbeitungsformen können variieren, aber eine vollkommen neue Lebensmittellandschaft sehe ich nicht auf absehbare Zeit, solange es keine existenziellen Veränderungen gibt. Dann stünde allerdings alles auf dem Kopf. Die weitere Optimierung der Agrarerzeugung, Verarbeitung, Logistik und des Konsums sowie der Verwertung von Nebenströmen wird viel entscheidender sein, auch was die Steigerung der Ökoeffizienz betrifft.
BVE: Wäre die Planetary Health Diet eigentlich praktisch umsetzbar in Deutschland oder gar weltweit?
Malte Rubach: Nein, die Planetary Health Diet ist eine Vision, aber keine praktische oder realistische Handlungsempfehlung. Allein der Verzehr von 27 Kilogramm Hülsenfrüchten und 18 Kilogramm Nüssen pro Kopf im Jahr ist vollkommen unrealistisch. Das erreichen derzeit nur ein oder zwei Länder weltweit, aber nicht, weil es so gut schmeckt, sondern weil es dort an tierischen Lebensmitteln mangelt. Würde man einen realistischen Abgleich der Empfehlungen der Planetary Health Diet machen, dann landet man in etwa bei denen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in der aktuellen Form. Diese sind ebenfalls pflanzenbasiert, aber schon eher für die hiesigen Verhältnisse geeignet.
BVE: Vielen Dank für das Interview!
In seinem neuesten Buch „Warum es uns kümmern sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt“ stellt Rubach den zahlreichen Utopien, Mythen und etablierten Narrativen von der Zukunft der Ernährung ein faktenbasiertes Szenario entgegen. Wo die natürlichen Grenzen des derzeit technologisch Machbaren liegen und wie ausgerechnet die weltweite Vielfalt der Esskulturen auch in Zukunft das Überleben der Menschheit sicherstellen wird, können Sie dort erfahren.