Warum ist Klimaschutz für die Ernährungsindustrie wichtig?
Sabet: Der Klimawandel stellt eine Herausforderung für uns alle dar – jede Branche, jedes Unternehmen und jeder einzelne Mensch ist auf die eine oder andere Art davon betroffen. Schließlich ist er eine weltweite Bedrohung für die Lebensgrundlagen vieler Menschen, die Artenvielfalt, Stabilität und den Frieden.
Die Ernährungssicherheit gemäß dem zweiten Nachhaltigkeitsziel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen („Kein Hunger“) im Klimawandel zu gewähren, ist eine besondere Herausforderung. Schon jetzt gibt es Menschen, die nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung haben und die Weltbevölkerung wächst. Die Ernährungsindustrie ist für die Produktion hochwertiger Nahrungsmittel auf entsprechende landwirtschaftliche Rohstoffe angewiesen. Deren dauerhafte Verfügbarkeit lässt sich nur durch tragfähige Umweltbedingungen und den Schutz des Klimas gewährleisten.
Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) prognostiziert unter anderem, dass Ernährungsunsicherheit und Wasserknappheit zunehmen werden, weil es vermehrt zu Ernteausfällen und Nährstoffverlusten in Lebensmitteln durch Hitze und Dürre kommen wird. Bei einer globalen Erwärmung ab 3 °C würde es beispielsweise für Teile Süddeutschlands zu einer Verdopplung der Dürredauer kommen, zusätzlich drohen Transportprobleme durch Niedrigwasser. Wir kommen nicht umhin – im eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit – das Klima für den Erhalt unserer Lebensgrundlage zu schützen. Die Lebensmittelkette kann hier auf dem Weg zur Klimaneutralität einen wichtigen Beitrag leisten. Besonders relevant ist die Lebensmittelkette auch, weil sie in der Lage ist, klimaschädliche Emissionen zu kompensieren (Carbon Farming).
Wie kann das gelingen? Welche Maßnahmen sind hier besonders relevant?
Sabet: Um die weltweit spürbaren Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen, wurden auf multilateraler Ebene verschiedene Abkommen unterzeichnet und vor allem Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen sowie des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur unternommen.
Auf der EU-Ebene sind für die Ernährungsbranche momentan der Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie besonders relevant. Die Farm-to-Fork-Strategie zielt darauf ab, den Beitrag der Lebensmittelketten zur Klimaneutralität durch einen neuen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme festzuschreiben. Aufgrund des übergeordneten Klimaneutralitätszieles des Green Deals (Treibhausgasneutralität bis 2050) hat der Umweltfußabdruck von Unternehmen und Produkten in den aktuellen Gesetzgebungsprozessen eine zentrale Bedeutung. Die bestehenden Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten wurden erweitert und für mehr Unternehmen verpflichtend. Zur Förderung des nachhaltigen Konsums werden zudem Mindestanforderungen für Nachhaltigkeitskennzeichnungen von der EU gesetzt, die für Umweltaussagen überprüfbare Daten und Methoden, aber zum Teil auch Ökobilanzen verlangen. Schließlich legt die Taxonomieverordnung Kriterien für eine grüne und klimafreundliche Finanzierung fest. Dabei werden ebenfalls Daten zu den Klimaauswirkungen von Produkten und Unternehmen erforderlich.
Die deutsche Klimaschutzpolitik hat das Ziel, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu reduzieren, bis 2040 um 88 Prozent, um dann 2045 den Status der Klimaneutralität zu erreichen. Eine treibende Kraft war dabei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021, wonach das Klimaschutzgesetz von 2019 zu kurz greift.
Durch nationale Initiativen für eine klimaverträglichere Lebensmittelproduktion wird versucht, einen Maßstab zu setzen. 2021 legte die von der Großen Koalition eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft ihren Abschlussbericht vor und hielt darin fest: „Nahrungsmittel lassen sich nicht komplett ohne Treibhausgasemissionen erzeugen. Dennoch ist zur Erreichung der rechtlich festgelegten, verfassungsrechtlich begründeten und auch völkerrechtlich verbindlich vereinbarten Klimaziele eine deutliche Reduktion der Treibhausgasemissionen aus Landwirtschaft, Ernährung und Landnutzung sowie ein langfristiger Ausbau der Senkenfunktion in diesen Bereichen notwendig.“
Weiter wird ein umfassender Maßnahmenmix zur Zielerreichung vorgeschlagen. Ein Baustein ist darin auch die Bewertung von Produktionstechniken in Hinblick auf ihren Beitrag zum Klimaschutz. Unternehmen, die bereits jetzt ihre Produktion nachhaltiger und klimaschonender umstellen, haben somit einen Vorteil, sobald die Gesetze in Kraft treten.
Wie engagiert sich die Branche bereits für mehr Nachhaltigkeit?
Sabet: Die Unternehmen der Ernährungsindustrie verfolgen seit Jahren ambitionierte Ziele beim Klimaschutz. Die BVE unterstützt diese Bestrebungen und bietet entsprechende Workshops und Informationen an. Um ein paar Beispiele zu nennen: Ein Meilenstein in der Bündelung des Engagements war sicherlich, dass die BVE-Klimaschutzkampagne die erste Kooperation des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) bzw. des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mit einer Industriebranche war. In der neuen Regierung erfolgt die Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Seit ihrem Beginn hat sie bereits eine erfreuliche Resonanz erzeugt. Mit über 3.300 erreichten Unternehmen, über 1.600 Teilnahmen an Online-Seminaren sowie 240 Tonnen CO2 und 70.000 € mittleres jährliches Sparpotenzial pro Investitionsbewertung im Vorteilsrechner konnte die Kampagne wichtige Anregungen für Klimaschutzmanagement, Carbon Footprints, Energieeffizienz und Erneuerbare Energien ihre Wirkung geben.
Im Januar 2023 wurde auf der Internationalen Grünen Woche unser Leitfaden „Ambitionierten Klimaschutz erfolgreich umsetzen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität“ vorgestellt. Er ist auf die Ernährungsindustrie zugeschnitten und hilft den Unternehmen, das Thema Klimaschutz ganzheitlich zu betrachten und die notwendigen Weichen für eine ressourcenschonende Produktionsweise zu stellen. Er zeigt, welche Schwerpunkte die Betriebe in ihrer Transformation setzen können, bietet einen Überblick über die ökologischen und politischen Rahmenbedingungen und gibt praktische Umsetzungstipps.
Und auch auf dem diesjährigen Unternehmertag der BVE dreht sich alles um das Klima. Unter dem Motto „Klimaschutz gestalten. Wirtschaft erhalten“ kommen die Top-Entscheider aus der Ernährungsindustrie zusammen, um die zukünftige Gestaltung der Lebensmittelbranche zu diskutieren und Impulse für die strategische Unternehmensführung zu erhalten.
Mehr Infos
Den Leitfaden „Ambitionierten Klimaschutz erfolgreich umsetzen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität“ können Sie hier kostenlos downloaden.