Ein Labor-Ersatz für Palmöl: „Unsere Öle und Proteine haben weltweit den kleinsten CO2-Fußabdruck“

Palmöl ist ein beliebter Rohstoff in der Lebensmittelproduktion. Im Gegensatz zu anderen Branchen ist die Ernährungsindustrie Vorreiter beim Einsatz von nachhaltig angebautem Palmöl- und Palmkernöl. Der Anteil liegt bei aktuell rund 90 Prozent. Doch die Nachfrage steigt.

Quelle: COLIPI
 

Um diese Lücke zu schließen und eine nachhaltige und CO2-neutrale Alternative auf den Markt zu bringen, entwickelt das Hamburger Start-up COLIPI pflanzliche Öle aus speziellen Hefen. Mithilfe von Fermentation entstehen im Labor Äquivalente zu Kakaobutter, Palmöl, Sheabutter und Sojaöl. Auch ganz neue, maßgeschneiderte Öle sind möglich. Das Interesse der Industrie sei „gewaltig“, so Max Webers, Co-Founder & CEO von COLIPI, im Interview. Um die Produktion in den industriellen Maßstab zu bringen brauche es jedoch noch große Investitionen und Unterstützung.

Welche Vision steckt hinter COLIPI?

Max Webers: Feeding the world, protecting the climate. Unser Ziel ist die Schließung der wachsenden Ernährungslücke mit Single Cell Oils und Single Cell Alternative Proteins. Mehr Menschen müssen versorgt werden, parallel zu einem drastisch geringeren negativen Einfluss auf die Umwelt, sei es das Klima, die Meere oder Landnutzung.

Was bedeutet der Unternehmensname?

Max Webers: COLIPI ist aus CO2 Free Lipids entstanden. Der Name „CO2 Free Lipids GmbH“ wäre aber zu umständlich, so fiel zuerst Free „CO2LIPIDS“, dann die „2“ zu „COLIPIDS“ und dann das Ende zu „COLIPI“. Und weil sich das fast wie Kolibri anhört, kam auch noch der Vogel zum Logo.

Sie nutzen spezielle Hefen für Ihre Ölproduktion. Können Sie das Verfahren kurz zusammenfassen?

Max Webers: Unser Verfahren ist eine Integration von zwei technischen Vertikalen. Bakterien dekarbonisieren die Luft, wachsen am CO2 und dienen der Hefe als Nahrung. Die Hefen verwandeln diese Biomasse, also indirekt CO2, zu wertvollen veganen Proteinen und essbaren Ölen in einer Precision Fermentation. Die Öle können natürlich auch in anderen Industrien parallel zur Lebensmittelindustrie genutzt werden. Unsere Patente beziehen sich auf die bakterielle Dekarbonisierung und Integration der zwei parallelen Bio-Prozesse. Beide Prozesse können aber auch unabhängig voneinander existieren.

Welche Rohstoffe kommen hier zum Einsatz?

Max Webers: Im besten Fall brauchen wir nur CO2-reiche Luft, Wasserstoff, eine Stickstoff-Quelle und wenige Spurenelemente für beide Prozesse. Im zweitbesten Fall ergänzen wir die bakterielle CO2-basierte Biomasse mit industriellen Restströmen wie organische Abfälle oder ähnliches.

Quelle: COLIPI

Das nachhaltige Hefeöl wird durch Fermentation hergestellt. COLIPI nutzt dafür Hefen, die Zucker aus industriellen und landwirtschaftlichen Abfallprodukten, wie Melasse oder andere Biomassen, verwerten und dadurch ihren Stoffwechsel am Laufen halten.

Bei der Fermentation entsteht auch CO2. Haben Sie hierfür eine klimaschonende Lösung?

Max Webers: Ja in der Tat, bei aeroben Prozessen mit Pilzen, Bakterien und Hefen entsteht CO2, und das nicht zu knapp. Ob Mikroorganismen genutzt werden zur Produktion von Bier, Protein, Öl, Rhamnolipid oder anderen, es entsteht CO2. Bioprozesse sind nicht automatisch besser als andere Prozesse. Neben dem Stoffwechsel braucht es auch viel Energie zur Belüftung und Rührung, so es kein grüner Strom ist, lastet das auf dem CO2-Konto beim Life Cylce Assessment. Unser biogenes Prozess-CO2 wird aufgefangen und den Bakterien „zum Fressen“ gegeben. Ein Kohlenstoff-Kreislauf schließt sich. Unsere Öle und Proteine haben weltweit den kleinsten CO2-Fußabdruck, echte GHG-Scope-3-Reduzierer für Industriepartner.

Neben einem Palmöl-Ersatz können Sie auch ganz neue Öle entwickeln und auf Unternehmenswünsche zuschneiden. Können Sie dafür Beispiele nennen?

Max Webers: Wir werden CO2-neutrale Äquivalente zu Kakaobutter, Sheabutter, Palmöl und Sojaöl herstellen sowie Designer-Öle, mit verschiedenen Fettsäureprofilen aus Palmitinsäure (C16:0), Stearinsäure (C18:0), Oleinsäure (C18:1) und Linolsäure (C18:2).

Welche Marktvorteile sehen Sie für Unternehmen beim Einsatz ihrer Öle?

Max Webers: Unsere Rohstoffe reduzieren GHG Scope 3 für unsere Industriepartner. Unsere Produktion lokalisiert, verkürzt und vereinfacht die Supply Chain mit höchster Lieferkettentransparenz. Unser Ansatz, der sich von Kohlenstoffquellen wie Zucker und Melasse loslöst, minimiert die Preisvolatilität, die am Ende nur noch vom Strompreis abhängt sowie den Flächenverbrauch, da wir unabhängig von Zuckerrohr- und Zuckerrübenfeldern sind.

Ihre Ölproduktion verlässt gerade den Labormaßstab. Was sind die nächsten Schritte?

Max Webers: Die nächsten Schritte sind vor allem Vertrauen schaffen und dieses Jahr Investoren überzeugen. Wir brauchen Geld, um 2023 mit der Lohnproduktion von Ölen und den Zulassungsverfahren wie EU Novel Food zu beginnen. Wenn uns jemand gebrauchte Anlagen und/oder Infrastruktur schenken oder leihen könnte, wäre das sehr willkommen. Daten und Vertrauen aus Pilotproduktionen werden den Weg ebnen für eine Produktionsanlage mit einer Jahreskapazität ab 20.000 Tonnen, sehr gerne sehr viel mehr. Deutschland braucht jährlich mehrere Millionen Tonnen pflanzlicher Öle. Der Bau der Industrieanlage ist eine sinnvolle Investition zwischen 150 Millionen und 400 Millionen Euro. Diese soll vor 2030 in Betrieb gehen. Wir setzen alles daran, kein zweiter BER-Flughafen zu werden und heißen externen Ratschlag sehr willkommen. Überhaupt ist Klimaschutz und Welternährung eine Mammutaufgabe, die nur gemeinsam, sofort und mit maximaler Anstrengung geschafft werden kann.

Wie sind die ersten Reaktionen der Lebensmittelhersteller?

Max Webers: Das Interesse aus der Lebensmittelproduktion, national, europäisch sowie international ist gewaltig. Vegane Produkte wie Hafer-Milch, Mandel-Käse oder Erbsen-Fleisch schmecken nur mit dem richtigen Fett. Die Back- und Süßwaren-Industrie sucht händeringend nach einem Ersatz für Palmöl. Aktuelle Rohstoff-Preisschwankungen, neue Gesetze aus dem europäischen Green Deal, mit EU-Taxonomy, Lieferkettentransparenz-Gesetz, CO2-Grenzausgleichssteur (CBAM) und so weiter sind wichtige Errungenschaften für die Menschheit, riesige Herausforderungen für die Industrie und immer noch ein zaghafter Anfang. Ich bin gespannt auf die COP27 in Kairo und erwarte exponentiell verschärfte Klimamaßnahmen mit entsprechenden Implikationen für die Industrie. Die Herausforderung der Menschheit in den nächsten Jahren scheinen schier unlösbar, wir müssen aber unser Glück versuchen, etwas Anderes bleibt uns nicht übrig.

Vielen Dank für das Interview!

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