Kaum ein Thema beschäftigt deutsche Unternehmen mehr als die stetig wachsenden bürokratischen Pflichten. Ein Dickicht aus Gesetzen und Verordnungen verursacht nicht nur hohe Kosten, es lähmt auch Innovationen und Produktivität. Die Stimmung ist angespannt. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) unter mehr als 160 Unternehmen. Über 95 Prozent berichten von gestiegenen bürokratischen Anforderungen in den letzten drei Jahren. Ein Rückgang wurde von keinem Unternehmen festgestellt.
Bei 22 Prozent der kleinen und rund 18 Prozent der mittleren Unternehmen wurde ein großer Anteil der derzeitigen bürokratischen Belastungen sogar als „existenzgefährdend“ eingestuft. Mehr als 96 Prozent der Unternehmen fordern von der künftigen Bundesregierung, Bürokratie abzubauen.

Staatliche Regelungen nehmen zu – Beispiel CSRD
Dass die Bürokratie in Deutschland in den vergangenen Jahren gewachsen ist, zeigen auch die Daten des Statistischen Bundesamtes, die dem Handelsblatt vorliegen. Demnach ist die Zahl der Informationspflichten seit 2018 von 11.435 auf 12.390 im Jahr 2024 gestiegen. Die sich darauf ergebenden jährlichen Bürokratiekosten für die Wirtschaft wuchsen von 50 auf 66,6 Milliarden Euro.
Ein typisches Beispiel für die zunehmende staatliche Regelungsdichte ist die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD-Richtlinie). Sie enthält rund 1.200 mögliche Kriterien für umwelt- und sozialpolitische Nachhaltigkeit, die Unternehmen dokumentieren sollen. Für die Unternehmen der Ernährungsindustrie bedeutet das vor allem eins: Sie müssen zusätzliches Personal rekrutieren, was wiederum mit Kosten verbunden ist.
- 40 Prozent der großen Unternehmen benötigen ein bis drei neue Vollzeitkräfte, 13 Prozent sogar mehr als fünf.
- 21 Prozent der mittleren Unternehmen stellen bis zu zwei zusätzliche Kräfte ein.
- Kleine Unternehmen bewältigen den Aufwand meist mit einer halben Stelle.
Die Folgen: 91 Prozent der Großunternehmen bewerten den CSRD-Aufwand als „übermäßig belastend“. Obwohl KMU formal nicht betroffen sind, zeigen die Ergebnisse der BVE-Blitzumfrage ein ganz anderes Bild: Nur 1,4 Prozent der mittleren Unternehmen sehen sich „nicht betroffen“, während 81 Prozent die indirekten Anforderungen als „übermäßig belastend“ und 12,9 Prozent sogar als „existenzgefährdend“ einstufen. Bei kleinen Unternehmen geben 21 Prozent „keine Betroffenheit“ an, hingegen bewerten 56 Prozent die Belastung als „übermäßig“ und 23 Prozent als „existenzgefährdend“.

Damit zeigt sich, dass die CSRD-Berichtspflichten nicht nur die offiziell gesetzlich verpflichteten Unternehmen belasten, sondern die gesamte Branche. Auch die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) wird von den Unternehmen der Ernährungsindustrie als „übermäßig belastend“ empfunden. Das geben 76 Prozent der großen Unternehmen, 69 Prozent der mittleren und 34 Prozent der kleinen Unternehmen an.
Potenziale für einen Bürokratieabbau
Das größte Potenzial in weniger Bürokratie sehen die 160 befragten Firmen darin, bestimmte Pflicht-Meldungen an Behörden abzuschaffen, „doppelten“ Berichtsaufwand und Übererfüllung von EU-Standards zu vermeiden („Gold-Plating“). Des Weiteren wurden Digitalisierung von Prozessen und eine konsequente Umsetzung des „One in, one out“-Prinzips genannt.
Stefanie Sabet, Geschäftsführerin und Leiterin des Brüsseler Büros der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), resümiert: „Aufgrund ihrer KMU-Prägung ist die deutsche Ernährungsindustrie auf einen effizienten und kostengünstigen Rechtsrahmen angewiesen. Der Umsetzungsaufwand muss sinken. So sollte zum Beispiel unbedingt vermieden werden, Informationen doppelt zu sammeln und zu erheben, insbesondere im Bereich Umwelt und Energie. Auch eine doppelte Berichterstattung, etwa zu Nachhaltigkeitsleistungen, ist redundant. Eine bürokratiearme Gesetzgebung setzt auch effiziente Digitalisierung der Verwaltung und eine bessere Folgenabschätzung voraus. Schlussendlich bleibt Bürokratieabbau nicht nur eine nationale Aufgabe. Der Großteil der Bürokratielasten folgt aus EU-Gesetzgebung. Insbesondere im Lebensmittelrecht ist es daher notwendig, europäische Lösungen zu suchen, statt nationale Alleingänge durchzuführen.“
Zurückhaltend bei Investitionen
Nicht nur die steigende Bürokratiebelastung, auch große wirtschaftspolitische Unsicherheiten und sich verschlechternde Standortfaktoren führen dazu, dass die Ernährungsindustrie unter Druck steht. Die aktuelle Ertragslage der Unternehmen wird im Durchschnitt mit der Note 3,3 („ausreichend minus“) bewertet. Lediglich 22 Prozent stufen sie als gut oder sehr gut ein, während 40 Prozent sie als schlecht oder sehr schlecht bewerten. Zwei Prozent sehen sich konkret insolvenzgefährdet. Diese Ergebnisse entsprechen dem Niveau des Vorjahres.
In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich die Ertragslage nur bei 18 Prozent der Unternehmen verbessert, während 57 Prozent eine Verschlechterung verzeichneten. Bei 25 Prozent blieb sie unverändert.
Die Lebensmittelhersteller bleiben in den nächsten zwei bis drei Jahren zurückhaltend bei Investitionen, auch wenn sich die Lage leicht verbessert hat. Nur 18 Prozent planen reale Investitionssteigerungen in Deutschland, während 35 Prozent Kürzungen vorsehen und sechs Prozent ihre Investitionen komplett einstellen möchten. 41 Prozent wollen das aktuelle Niveau beibehalten.
Wirtschaft mit Weitsicht

Mehr als 96 Prozent der Unternehmen erwarten von der Bundesregierung einen Bürokratieabbau, 94 Prozent eine bessere Standortpolitik und 92 Prozent praxistauglichere Regeln für Nachhaltigkeitsberichterstattung. 85 Prozent sprechen sich dafür aus, die aktuelle Ausgestaltung der Energiewende zu überdenken.
BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff fordert mit Blick auf die Bundestagswahl: „Egal welche Koalition – die Unternehmen brauchen Planungssicherheit statt ideologisches Ping-Pong. Wer Investitionen möchte, muss den Rahmen dafür langfristig und verlässlich setzen. Denn Wirtschaft funktioniert nicht auf Zuruf, sondern mit klarem Kurs und Weitsicht“. Die Last an aktuellen Berichtspflichten und Regulierungen blockiert wertvolle Ressourcen, die für Wachstumsimpulse gebraucht werden. Die neue Bundesregierung müsse daher dringend die strukturellen Probleme angehen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu schützen. Laden Sie hier die Grafik zur Jahresprognose 2024 und die Grafiken zur BVE-Blitzumfrage herunter: >> Zum Download
Hier geht’s zu den BVE-Forderungen zur Bundestagswahl.